Boskoop ist einer der wenigen alten Apfelsorten, die es wieder in den Supermarkt geschafft haben. Wie vielfältig die heimische Obstsortenauswahl im 19. Jahrhundert einmal war und welche Geschichten sie erzählen können, zeigt jetzt die Buchautorin und Gärtnerin Sofia Blind in ihrem unterhaltsamen und informativen Band "Die alten Obstsorten".
1424 verschiedene Äpfel, 1016 Birnen, 324 Kirschen, 251 Pflaumen und 194 Pfirsiche listet der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) in seiner Obstsortendatenbank, zitiert die Autorin und Gärtnerin Sofia Blind die Zahlen in ihrem jetzt erschienenen Band „Die alten Obstsorten“. Doch im Supermarkt findet man jeweils noch nicht mal eine Handvoll verschiedener Sorten.
Viele regionale Streuobstwiesen-Initiativen, Vereine, Baumschulen und Institute sensibilisieren für das Thema – „zum Erhalt eines kulinarischen und ökologischen Schatzes“, meint auch Sofia Blind, die selbst einen historischen Garten pflegt. Nun vermittelt sie und unterhaltsam historisches Wissen: In über fünfzig Porträts heimischer alter Obstsorten beweist ihre Spurensuche, wie viele Geschichten in diesen Sorten stecken und dass es sich lohnt, sie zu retten oder wiederzuentdecken. Drei Beispiele:
1. Die Birne des Herrn von Ribbeck: Römische Schmalzbirne
Theodor Fontane sorgte einst mit seiner Ballade „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“ dafür, dass Hans Georg von Ribbeck (1689–1759) bis heute nicht in Vergessenheit geraten ist: Zu Lebzeiten verteilte er Birnen an die Nachbarskinder und bewirkte, dass sie diese auch weiterhin nach seinem Tod bekamen. Doch welcher Birnbaum wuchs auf seinem Grab? Erst vor Kurzem habe man herausgefunden, so Blind, dass es sich um die Römische Schmalzbirne gehandelt haben müsste. Sie war demnach im Barock im Havelland verbreitet und zudem so robust, „um die sogenannte Kleine Eiszeit zu überstehen“.

Doch nicht nur das, berichtet die Autorin: Die mittelgroße, zitronengelbe Frucht „mit roter Wange“ zeichne sich durch ein „besonders aromatisches, saftiges Fruchtfleisch“ aus. Der Geschmack riss den Reformator Philipp Melanchthon 1559 zu einem Lob mit Folgen hin: Auf dem Weg zum Kurfürsten von Sachsen wurde ihm während einer Pause beim Pfarrer Göch diese Birne gereicht. Er war so begeistert, dass er weitere Birnen als Gastgeschenk für den Kurfürsten mitnahm. Mit Erfolg: Die Pfarrerskinder bekamen vom ebenso geschmacklich hingerissenen Kurfürsten ein Stipendium, und der Pfarrer taufte die Frucht zum Dank „Melanchthonsbirne“, unter diesem Namen ist sie auch bekannt.
2. Düsterer Gruß aus dem Mittelalter - passend zu Halloween: Blutapfel
Diese Sorte ist aus heutiger Sicht wie für Halloween gemacht: „Blutartiges Rot überzieht die ganze Frucht“, zitiert Autorin Sofia Blind die Beschreibung des Pomologen Adrian Diel (1756–1839). Ein weiterer leichter Schauer zieht sich über den Rücken beim Hinweis, dass mit ihrer beschriebenen schwärzlich-braunroten Haut diese Winteräpfel auch unter Namen wie Ochsenherz oder Höllenapfel geläufig sind.

Wen wundert es da noch, dass die Herkunft und das genaue Alter des Blutapfels genauso wie der Ursprung der Farbe im Dunkeln bleiben? Er stamme aus dem Mittelalter, möglicherweise war er aber auch schon zu Römerzeiten bekannt, schreibt die Autorin. Schon 50 n. Chr. habe Plinius der Ältere einen blutroten Apfel erwähnt. Mit seinem Geschmack kann man, sofern roh verzehrt, ebenfalls Mitmenschen verschrecken: Herb-säuerlich im Nachgeschmack, wird er lieber als „guter Kochapfel“ empfohlen. Dekorativ ist er aber auf jeden Fall.
3. Wie aus einem Märchenland: Bunte Süßkirschen
Die dunkelroten Knorpelkirschen dominieren heute das Angebot im Supermarkt. Langweilig, beklagt Sofia Blind. Vor fünfzig Jahren habe es auch mehr Vielfalt auf den Streuobstwiesen gegeben: nicht nur Süß- und Sauerkirschen, sondern „Süßweichseln, die in der Mitte zwischen beiden liegen und als besonders lecker galten“.
So klingt manch alte Kirschsorte heute wie aus einer Märchenwelt: Die „Holländische Große Prinzessinkirsche“ war einst mit ihren großen, aromatisch süß-säuerlichen Früchten in ganz Europa beliebt. Sofia Blind beschreibt sie als eine „gelb-rot marmorierte Schönheit“, denn im 19. Jahrhundert seien Süßkirschen vielfarbig und nicht nur dunkelrot wie heutzutage gewesen. Es habe sie in allen Schattierungen von Weißgelb bis Hellrot geben. Zudem hatten sie einen praktischen Vorteil: Man konnte sie gefahrlos im weißen Spitzenkleid verzehren, denn der helle Saft der Frucht hinterließ keine schwarzblauen Flecken. Wahrlich märchenhaft!
Weitere Tipps
Sofia Blind empfiehlt in dem umfangreichen Anhang mit Rezepten und Anbautipps in ihrem Band "Die alten Obstsorten" diverse Datenbanken im Netz, beispielsweise die BUND-Lemgo Obstsortenbank (obstsortendatenbank.de) oder die Deutsche Genbank Obst (deutsche-genbank-obst.de) des Julius Kühn-Instituts.Darüber hinaus rät sie auch zu Besuchen in Obstmuseen und Schaugärten, beispielsweise der Obstgarten Haseldorf in Schleswig-Holstein oder der friesische Obstgarten „Pomarium frisiae“ in Emden.
Buchtipp: Sofia Blind: "Die alten Obstsorten. Von Ananasrenette bis Zitronenbirne." Mit Rezepten, Anbautipps, Sortenregister und nützlichen Adressen. Historische Abbildungen aus den Beständen der Staatsbibliothek zu Berlin, Dumont Verlag. 25 Euro.
