Wirtschaft Haftbefehle nach der Razzia

13.09.2007, 22:00 Uhr

Um Gammelfleisch geht es zwar diesmal nicht. Gleichwohl: Die von der Staatsanwaltschaft Bochum veranlassten Durchsuchungen gestern und am Mittwoch von Deutschlands größtem Schweinefleischverarbeiter Tönnies könnten nach Informationen unserer Zeitung "einen Betrug im Riesenstil" aufdecken. Der Konzern weist die Vorwürfe zurück.

Oberstaatsanwalt Bernd Bienioßek bestätigte gestern unserer Zeitung, '"'dass das Amtsgericht Bochum Haftbefehl gegen zwei Mitarbeiter des Konzerns erlassen hat'"'. Es handle sich um einen Techniker sowie um einen leitenden Angestellten der Unternehmensgruppe. Tönnies mit Sitz in Rheda-Wiedenbrück (Kreis Gütersloh) beschäftigt rund 5000 Mitarbeiter unter anderem auch in Sögel (Landkreis Emsland). Schlachtung, Zerlegung sowie Vermarktung von Schweinen und Rindern bilden den Schwerpunkt der Arbeit in den Betrieben.

Bienioßek zufolge wurden die Haftbefehle wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr ausgesprochen. Nach Informationen unserer Zeitung ertappten die Ermittler bei den Durchsuchungen Mitarbeiter beim Löschen von Daten. Unter die Lupe genommen wurden insgesamt 30 Wohn- und Geschäftsräume sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in anderen Bundesländern sowie auf der Insel Zypern. Außer der Staatsanwaltschaft Bochum sind das Landeskriminalamt NRW, die Steuerfahndung Bielefeld sowie verschiedene Eichämter an den Ermittlungen beteiligt. Das erklärt die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft: Es besteht der Verdacht, dass Tönnies-Kunden und -Lieferanten betrogen wurden, es etwa bei Mengenangaben zu Täuschungen kam. Überdies steht der Vorwurf der illegalen Arbeitnehmerüberlassung sowie als Folge Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug im Raum.

Dietrich von Gumppenberg, Sprecher der Unternehmensgruppe, sah auf Anfrage '"'keinen konkreten Tatverdacht'"' gegen die von den Haftbefehlen betroffenen Mitarbeiter. '"'Wir wollen in vollem Umfang mit den ermittelnden Behörden zusammenarbeiten und sichern Transparenz zu'"', versprach er. Zu Inhalten und Verfahrensfragen wollte sich Gumppenberg zwar nicht äußern. Er ließ jedoch durchblicken, dass er den Betrugsvorwurf für '"'nicht denkbar'"' hält.

Oberstaatsanwalt Bienioßek rückte auf Anfrage derweil Gerüchte zurecht, wonach die Durchsuchungen auf Zypern mit Geldwäsche zu tun hätten: '"'Das ist nicht der Fall. Es handelte sich um die Überprüfung einer Bank, die ein Konto eines mutmaßlichen Nebentäters führte.'"'

Zu Wort meldete sich jetzt auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten: '"'Es wird höchste Zeit, dass Fleischunternehmen ihren sozialpolitischen Auftrag wahrnehmen'"', sagte ein Mitarbeiter unserer Zeitung. Die Regierung sei gefordert, Mindestlöhne und eine Sozialversicherungspflicht für alle Branchen durchzusetzen. '"'Sonst entsteht ein Heer von Arbeitssklaven aus Osteuropa.'"'