Künstliche Intelligenz BDI-Experte Otte: KI wird Schlüsseltechnologie

Von Manuel Glasfort | 10.07.2019, 13:15 Uhr

Fällt der Begriff künstliche Intelligenz, denken viele Bürger zuerst Charaktere aus Science-Fiction-Filmen wie R2-D2. Dabei verwenden wir KI heute bereits täglich, wie Clemens Otte erklärt, Digitalisierungsexperte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Er ist sicher: Künstliche Intelligenz wird zu einer Schlüsseltechnologie.

Herr Otte, der Begriff Künstliche Intelligenz ist in aller Munde. Der Technologie wird revolutionäres Potenzial zugeschrieben. Doch was verbirgt sich überhaupt hinter diesem Begriff der KI?

Künstliche Intelligenz ist der Oberbegriff für Computerprogramme, die menschliche Intelligenz nachahmen. Wichtig ist, zwischen schwacher und starker KI zu unterscheiden. Eine starke KI ist im Grunde zu allem fähig, wozu ein Mensch ebenfalls in der Lage wäre. Die starke KI ist es auch, die Filmemacher und Science-Fiction-Autoren fasziniert, sie hat aber mit der Realität nur wenig zu tun. Die schwache KI hingegen ist schon länger in Wirtschaft und Gesellschaft angekommen und macht zurzeit rasante Fortschritte. Sie befasst sich unter anderem damit, Maschinen einzelne Fähigkeiten des Menschen beizubringen, zum Beispiel das Erkennen von Sprache oder Bildern. Diese Fähigkeiten sind für Menschen selbstverständlich, aber für Maschinen hochkomplex.

Welche konkreten Anwendungen gibt es heute bereits in der Praxis und welche sind für die Zukunft denkbar?

Die meisten Menschen wenden täglich KI an, ohne es zu merken. KI optimiert zum Beispiel den Algorithmus von Suchmaschinen. Computer und Smartphones lassen sich über KI-gestützte Gesichtserkennung entsperren. Im Auto unterstützen Assistenzsysteme dabei, die Spur zu halten oder warnen bei Übermüdung. Zukünftig werden wir noch viele weitere spannende KI-Anwendungen sehen. Zum Beispiel zur Bekämpfung von Armut. Im Irak wird getestet, ob Satellitenbilder Aufschluss über den Grad der Armut in einer abgelegenen Region liefern können. Die KI-Systeme könnten etwa automatisch auswerten, wie viele Leute elektrisches Licht haben, aus welchem Material Dächer sind oder ob neben dem Haus Vieh gehalten wird.

Inwieweit wird die Industrie von der KI profitieren und welche Branchen dürfen sich besonders große Hoffnungen machen?

In allen Branchen, in denen Daten gesammelt und interpretiert werden können, wird KI eine wichtige Rolle spielen. Dies trifft nahezu auf die gesamte Wirtschaft zu. In der Energieerzeugung wird künstliche Intelligenz eingesetzt, um die Stickoxid-Emissionen von Gasturbinen um 15 bis 20 Prozent zu reduzieren. In der Fertigung sind KI-Systeme in der Lage, Fehler in Bauteilen automatisch zu erkennen. In der Medizin wird KI zur Krebsdiagnose eingesetzt. So wie es heutzutage in jedem Unternehmen Computer gibt, wird auch KI eine flächendeckende Anwendung finden. In einer immer stärker vernetzten Welt wird künstliche Intelligenz zur Schlüsseltechnologie für Wirtschaft und Gesellschaft.

Bis 2025 will Berlin drei Milliarden Euro in die KI-Forschung investieren. Reichen diese Mittel aus Ihrer Sicht aus, um im weltweiten Wettbewerb Schritt zu halten?

Drei Milliarden Euro klingen erst einmal beeindruckend. Im internationalen Vergleich verliert die Summe aber schnell ihren Zauber. China hat für einen einzelnen KI-Park in der Nähe von Peking zwei Milliarden Euro ausgegeben. Aber ich bin schon froh, wenn wir überhaupt auf drei Milliarden Euro bis 2025 kommen. In der bisherigen Haushaltsplanung sind bisher leider nur eine Milliarde Euro bis 2023 vorgesehen. Umso wichtiger ist es, dass Deutschland das Geld sinnvoll und punktuell einsetzt – und zwar dort, wo unsere Stärken liegen, etwa für industrielle Anwendungen. Wir haben mit unserer ausdifferenzierten und damit international einmaligen Industriestruktur in Deutschland die Chance, führend in der vernetzten Produktion und Wertschöpfung zu werden.

Welche ethischen Fragen wirft die Weiterentwicklung der KI womöglich auf und wie ist ihnen Ihrer Meinung nach am besten zu begegnen?

Zum Beispiel kann es bei KI-basierten Entscheidungen zu Verzerrungen und zur Diskriminierung bestimmter Personengruppen kommen, etwa bei der Jobsuche: Wenn ein KI-System anhand der vorhandenen Datenbasis lernt, dass die meisten Softwareentwickler männlich sind, kann es dazu kommen, dass es bei einer Neueinstellung ebenfalls Männer bevorzugt werden. KI-Entwickler benötigen Leitfäden, die ihnen helfen, solche Verzerrungen zu verhindern. Der BDI wirkt im Rahmen der "High Level Expert Group on AI", eingesetzt von der EU-Kommission, daran mit, solche Leitfäden zu erarbeiten.

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