Draghi-Nachfolge Krisenerfahrene Juristin Lagarde soll EZB führen

Von Birgit Holzer | 03.07.2019, 19:17 Uhr

Eine der Gewinnerinnen des Brüsseler Personal-Pokers ist voraussichtlich die Französin Christine Lagarde, die bisherige Direktorin des Internationalen Währungsfonds, die Mario Draghi nachfolgen soll. Sie gilt als verbindlich, durchsetzungsstark, charmant – und dennoch nicht ganz unumstritten.

Es gibt wenige Frauen, die so unverblümt für „weniger Testosteron“ in den Führungsgremien in Politik und Wirtschaft eintreten wie Christine Lagarde – und noch weniger, die den Anspruch auf Geschlechtergleichheit mit dem eigenen Weg derart untermauern. In ihrer Karriere stand sie jeweils als erste Frau an der Spitze der US-Anwaltskanzlei Baker & McKenzie, einer der größten der Welt, des französischen Finanz- und Wirtschaftsministeriums sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington. Nun soll die 63-Jährige neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) werden.

Den Feminismus hat die Französin stets zu einem ihrer Hauptthemen gemacht. Ihren Worten nach wäre es ab 2008 nicht zu einer so dramatischen Finanzkrise gekommen, wenn die auslösende Pleite-Bank nicht „Lehman Brothers“, sondern „Lehman Sisters“ geheißen hätte und von Frauen geführt worden wäre. Trotz (oder gerade wegen) solch markiger Aussagen gilt Christine Lagarde als verbindlich, charmant und souverän – Eigenschaften, die ihre Nominierung wohl mit beförderten.

Lagarde lobt Draghis Arbeit

Sie selbst hatte noch im Herbst einen möglichen Sprung zurück nach Europa abgewehrt: Sie sei „nicht an irgendeinem der europäischen Top-Jobs, sei es EZB oder Kommission, interessiert“. Nun schrieb sie auf Twitter, sie fühle sich „sehr geehrt“ und kündigte an, ihren IWF-Chefposten „provisorisch“ zu verlassen, bis sie den bisherigen EZB-Präsidenten Mario Draghi wie vorgesehen am 31. Oktober diesen Jahres ablöst. Dessen lockere Geldpolitik hat Lagarde wiederholt gelobt. Man hält ihr zugute, das Image des IWF, an dessen Spitze die Mutter zweier Söhne nach dem Sex-Skandal ihres Vorgängers Dominique Strauss-Kahn überraschend kam, als eiskalte neoliberale Institution verbessert zu haben. Sie warnte vor Protektionismus und einem Handelskrieg, ohne sich offen gegen die USA zu stellen.

Der diplomierten Juristin fehlt eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung und im Gegensatz zu ihren Vorgängern stand Lagarde nie einer nationalen Zentralbank voran. Dennoch hat sie von 2007 bis 2011 im französischen Wirtschafts- und Finanzministerium unter Präsident Nicolas Sarkozy Erfahrung im Krisenmanagement gesammelt und nimmt in ihrer Rolle als IWF-Direktorin seit Jahren an Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G7 und G20 teil. Lagarde gilt als bestens vernetzt, spricht perfekt Englisch und hält sich stets diszipliniert kerzengerade – als Jugendliche war sie Meisterin im Synchronschwimmen.

Presse sieht Triumph für Macron

In ihrem Heimatland wird Lagardes Ernennung als Triumph für Macron gesehen. „Ihre Kompetenzen qualifizieren sie absolut für diesen Posten“, sagte der französische Präsident. Dennoch ist sie nicht unumstritten. Als Finanzministerin unter Sarkozy winkte sie das zweifelhafte Urteil eines privaten Schiedsgerichtes durch, das dem Geschäftsmann und Sarkozy-Vertrauten Bernard Tapie in einem Streit mit der ehemals staatlichen Bank Crédit Lyonnais eine Rekord-Entschädigung von 404 Millionen Euro zugesprochen hatte. Später wurde es als unzulässig aufgehoben und Lagarde wegen „Fahrlässigkeit“ schuldig gesprochen. Eine Strafe erhielt sie nicht.

Als eigentlich Verantwortlicher gilt Sarkozy, dem Lagarde einmal in einer handgeschriebenen Notiz angeboten hat, er könne sie „benutzen, solange es dir passt“. Worte, die aus dem Mund der „Testosteron“-Kritikerin verstörend unterwürfig anmuten.

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