Prigoschin mutmaßlich tot Wie Russlands Präsident Putin die Wagner-Söldner jetzt für seine Interessen nutzen will

Von afp und dpa | 25.08.2023, 15:25 Uhr | Update am 25.08.2023

Ihr Chef, Jewgeni Prigoschin, soll mit einem Flugzeug abgestürzt und tot sein. Jetzt hat Russlands Präsident Wladimir Putin mit einem Dekret über die Zukunft der Wagner-Söldner entschieden – und will die Kontakte der Privatarmee nutzen.

Die russischen Wagner-Söldner sind führungslos. Ihr Chef Jewgeni Prigoschin und neun weitere hochkarätige Mitglieder der Organisation sollen am Mittwoch, 23. August, mit einem Privatflugzeug auf dem Weg nach St. Petersburg abgestürzt sein. Darunter auch der Kommandeur und Wagner-Gründer Dmitri Utkin. Wie geht es für die Truppe nun weiter?

Treueeid auf russischen Staat

Mitglieder russischer paramilitärischer Organisationen wie der Söldner-Truppe Wagner müssen künftig einen Treueeid auf den russischen Staat ablegen. Ein entsprechendes Dekret unterzeichnete Präsident Wladimir Putin am Freitag zwei Tage nach dem mutmaßlichen Tod des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin bei einem Flugzeugabsturz.

Laut dem auf der Website des Präsidialamts veröffentlichten Dekret müssen alle „freiwilligen Kämpfer“ und Mitglieder privater militärischer Organisationen – wie bisher schon reguläre Soldaten – Russland „Treue“ und „Loyalität“ schwören und zudem geloben, „die Befehle der Kommandeure und Vorgesetzten strikt zu befolgen“. Ziel der Maßnahme sei es, „die geistigen und moralischen Grundlagen für die Verteidigung der Russischen Föderation zu legen“, hieß es.

Wagner-Chef wahrscheinlich tot

Prigoschins Absturz ist eine Warnung – auch an Deutschland

Meinung – Michael Clasen
Nur zwei Monate liegt die Meuterei von Jewgeni Prigoschin und seiner berüchtigten Söldnerarmee zurück. Zwei Monate, in denen nicht ganz klar wurde, was Putins Zögling mit diesem seltsam anmutenden Putschversuch eigentlich bezwecken wollte. Der makabre Scherz geisterte schnell durch die Welt, der Wagner-Chef sollte besser offene Fenster meiden – in Anspielung auf die Serie tödlicher Fensterstürze von Funktionären, die in Ungnade des Kremls gefallen sind. Daher kommt die Nachricht vom wahrscheinlichen Tod von Putins ehemaligem Koch nicht wirklich überraschend.

Was ist dran an den Spekulationen?

Ob der Flugzeugabsturz ein Unglück oder ein Abschuss auf Befehl Putins war, sind Spekulationen, die sich jetzt Bahn brechen. Gewiss ist aber eins: Putin hat sich einmal mehr als Meister des Machterhalts gezeigt. Dass er acht Wochen nach dem Wagner-Aufstand gestärkt aus dem Konflikt hervorgeht, ist eine bittere Nachricht für die Ukraine und ihre Verbündeten. 

 Denn die Wahrscheinlichkeit, dass Putins Herrschaftssystem kollabiert, tendiert jetzt gegen Null. Auf wichtigen Ebenen hat der Machthaber Säuberungsaktionen vorgenommen und zugleich die eigene Garde massiv aufgerüstet. Auch an der Front in der Ukraine zeigt sich, dass Russland aus seinen Fehlern des Vorjahres gelernt hat. Auch wenn es niemand gerne im Westen hört: Die ukrainische Großoffensive war bislang eine schmerzhafte und verlustreiche Enttäuschung.

Blutige Pattsituation

Trotz massiver westlicher Waffenlieferungen ist es der Armee von Präsident Selenskyj nicht einmal gelungen, die Hauptverteidigungslinien der Russen auch nur an einer Stelle zu durchbrechen. Ein paar unwichtige Dörfer wurden befreit – mehr nicht. Der Krieg um die Ukraine ist in einer blutigen Pattsituation gefangen.  Das liegt auch daran, dass Kampfmoral, Rüstungskapazitäten und Logistik der russischen Armee besser sind, als manche im Westen der Öffentlichkeit weismachen wollen. Oder wie auch das Schicksal Prigoschins zeigt: Putin zu unterschätzen, ist ein Fehler.

Über Waffenstillstand verhandeln

Der Westen sollte sich daher die Frage stellen, wann der Zeitpunkt gekommen ist, um mit dem Kreml ernsthaft über einen Waffenstillstand zu verhandeln. Oder: Wie viele Menschen sollen noch ihr Leben an der Front lassen, bis die Konfliktparteien erkennen, dass es keine militärische Lösung in diesem Krieg gibt?
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Beim Absturz eines Privatflugzeugs in der russischen Region Twer waren am Mittwochabend nach russischen Behördenangaben alle zehn Insassen ums Leben gekommen. Den Behörden zufolge stand Wagner-Chef Prigoschin ebenso wie sein Stellvertreter Dmitri Utkin auf der Passagierliste. Die genetische Analyse zur Identifizierung der Leichen ist noch nicht abgeschlossen.

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Nach innen ist Russlands Präsident Wladimir Putin damit einen gefährlichen Konkurrenten losgeworden. Und Prigoschins Netzwerk im Ausland versucht der Kreml schon seit einiger Zeit zu übernehmen. Mit seinen Söldnern verdiente Prigoschin speziell in Afrika gutes Geld. Schutz gegen Beteiligung an Bodenschätzen – das war oft die Formel.

Vom „Koch“ zum Söldner-Chef

Der 62-jährige Prigoschin hatte ein mächtiges Imperium aufgebaut. Mit seinen Cateringfirmen war er unter anderem Proviantmeister der russischen Armee. Zu seinem Konglomerat gehörten nicht nur die bekannte Privatarmee Wagner, sondern auch Bau- und Förderunternehmen, Finanzdienstleister, Logistikfirmen und Medien wie die berüchtigte St. Petersburger Troll-Fabrik. Da er durch seine Geschäfte mit Autokraten und Militärjuntas in Afrika zugleich Russlands Einfluss stärkte, ohne dass Moskau sich selbst die Hände schmutzig machen musste, wurde er vom Kreml jahrelang gefördert.

Erst Anfang der Woche prahlte er in einem angeblich in Afrika aufgenommenen Video, seine Wagner-Truppe trage dazu bei, „Russland noch größer auf allen Kontinenten zu machen und Afrika noch freier.“ Der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations zufolge sollen rund 5000 russische Kämpfer in verschiedenen Ländern Afrikas tätig sein – allein im westafrikanischen Mali laut Schätzungen bis zu 2000. Dort will sich Wagner als Alternative zu westlichen Militäreinsätzen gegen den sich ausbreitenden Dschihadismus inszenieren.

Lukrative Geschäfte im Sudan

Im Sudan, der seit Monaten von schweren Gefechten zwischen den zwei stärksten Militärblöcken des Landes erschüttert wird, soll Prigoschin Lizenzen für Goldminen erhalten haben. Im Gegenzug soll er Waffen geliefert haben. 2018 kam Prigoschins Truppe dem Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik, Faustin-Archange Touadéra, zu Hilfe, als dieser von Rebellen gestürzt zu werden drohte. Auch hier erhielt Prigoschin als Gegenleistung die Erlaubnis, Gold abbauen zu dürfen. Medienberichten zufolge beteuerte ein Berater Touadéras nun, dass Wagner trotz Prigoschins möglichem Tod weiterhin im Land bleibe.

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Auch in Westafrika dürfte Russland versuchen, Militärkooperationen fortzusetzen, sagt der Sahel-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung, Ulf Laessing: „Die Verträge mit der Zentralafrikanischen Republik und Mali sind finanziell in Zeiten westlicher Sanktionen sehr lukrativ.“ Zudem gehe es Moskau darum, geopolitisch zu expandieren. „Russland ist gerade mit Malis Hilfe dabei, Kontakte zu den Putschisten im Niger zu knüpfen. Da wird Russland alles daran setzen, die Verträge mit Mali zu erfüllen“, so Laessing weiter. Im Niger, einem der letzten westlichen Verbündeten in der Region, übernahmen vor knapp einem Monat Militärs die Macht. „Russland wird neue Strukturen für das Söldnergeschäft finden, falls Wagner als Firma nicht überlebt und Prigoschin tatsächlich tot sein sollte“, ist Laessing überzeugt.

Wie das funktionieren könnte, zeigt das Beispiel Syrien: Dort sind Wagner-Söldner seit 2015 aktiv. Die derzeit rund 2000 Söldner kämpfen mit dem russischen Militär an der Seite von Syriens Machthaber Baschar al-Assad und schützen auch Ölfelder für das Regime.

Einsätze in Syrien

Die Stärke der Wagner-Truppe in Syrien bestehe vor allem in der „mutmaßlichen Nähe zum (russischen) Staat“, sagte der politische Analyst Mohamed Hage Ali der Deutschen Presse-Agentur. Sie seien in vielerlei Hinsicht eine Erweiterung der russischen Politik. Um einer möglichen Rebellion zuvorzukommen, wurden nach Prigoschins Aufstand bereits erste Maßnahmen ergriffen. Die Wagner-Offiziere seien zu einem der russischen Militärstandorte einbestellt worden. Nach Angaben der Beobachtungsstelle für Menschenrechte folgen die Söldner seitdem den Befehlen der russischen Offiziere.

Die Einsätze Wagners in Syrien wurden damit schon vor Prigoschins mutmaßlichem Tod begrenzt. Einschätzungen des unabhängigen Analysten und Syrienexperten Sobhi Franjieh zufolge, habe sein Tod aber auch Misstrauen unter anderen Wagner-Kommandeuren – etwa in Libyen – hervorgerufen. „Erstmals ist ihnen bewusst geworden, dass sie sich auf ihre Stütze - die russische Regierung – nicht verlassen können und ihr vertrauen können“, sagte er. „Das wird mit Sicherheit für Unbehagen unter den Wagner-Mitgliedern sorgen.“

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