Jewgeni Prigoschin, der Chef der Söldnertruppe Wagner, soll tot sein. Zwei Monate nach seinem Putschversuch in Russland stürzte ein Flugzeug ab, auf dessen Passagierliste er stand. Doch saß er wirklich darin? Was über den Vorfall bislang bekannt ist.
Zwischen Moskau und St. Petersburg ist ein Business-Jet abgestürzt – auf der Passagierliste steht der Name des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin. Er soll dabei ums Leben gekommen sein, wie der Telegram-Kanal Grey Zone, den der Wagner-Chef nutzte, vermeldete. Auch Kreml-Chef Wladimir Putin hat den Tod inzwischen indirekt bestätigt.
Es mehren sich bereits Stimmen, dass das kein Unfall gewesen sein kann. Unter anderem US-Präsident Joe Biden zeigt sich wenig überrascht. Immerhin probte Prigoschin den Aufstand in Russland. Was ist bislang bekannt?
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Wer saß in dem abgestürzten Flugzeug?
Abgestürzt ist ein Geschäftsreiseflugzeug vom Typ Embraer Legacy, das regelmäßig von Prigoschin und seiner Privatarmee Wagner genutzt wurde. Russlands Ermittlungsbehörden haben ein Verfahren wegen Verstoßes gegen die Sicherheitsvorschriften im Luftverkehr eingeleitet.
Auf der von der Luftaufsichtsbehörde ungewöhnlich schnell bereitgestellten Passagierliste, die demnach von der Fluggesellschaft stammt, stehen zehn Menschen. Darunter sind Jewgeni Prigoschin und Dmitri Utkin, der als militärischer Anführer der Wagner-Truppe gilt. Der russische Zivilschutz hat den Tod aller zehn Insassen des Flugzeugs bestätigt.
Wie verspielte Prigoschin die Gunst Putins?
Prigoschin, der lange als Günstling von Präsident Wladimir Putin galt, ist durch die Beteiligung der Wagner-Truppe an der Eroberung Bachmuts im Osten der Ukraine zu einem der bekanntesten Männer Russlands aufgestiegen. Er kritisierte aber auch Moskaus Militärführung und hat zwei Monate vor dem Absturz einen kurzlebigen Aufstand angeführt, den Putin als „Verrat“ bezeichnete. Für die Beendigung des Aufstands sicherte ihm der Kreml Straffreiheit bei einer Ausreise nach Belarus zu.
Welche Bedeutung hat die Wagner-Truppe für Russland?
Die Wagner-Söldner sind eine Privatarmee, die der Kreml lange für seine Schattenkriege in verschiedenen Weltregionen einsetzte. Sie war lange vor dem offiziellen Ausbruch des Kriegs gegen die Ukraine im Donbass aufseiten der Separatisten aktiv.
In Syrien kämpften sie als Bodentruppen auf der Seite Moskaus. In vielen Staaten Afrikas wie der Zentralafrikanischen Republik und Mali ist Wagner aktiv. Die Hilfe für die dortigen Regimes sicherten Russland Einfluss und Prigoschin wirtschaftliche Pfründe, beispielsweise bei der Ausbeutung von Bodenschätzen.
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Prigoschin soll sich kurz vor seinem mutmaßlichen Tod noch aus einem afrikanischen Land gemeldet haben. Im Internet war ein entsprechendes Video aufgetaucht, in dem er in Tarnkleidung und mit Maschinengewehr bewaffnet über die „Aufklärungsarbeit“ der Wagner-Söldner in Afrika spricht, die „Russland noch größer auf allen Kontinenten“ mache.
Wo und wann stürzte das Flugzeug ab?
Die Maschine war von Moskau auf dem Weg nach St. Petersburg. Der Absturzort Kuschenkino liegt im nordrussischen Gebiet Twer nahe dem Waldai-See, wo auch Putin eine Residenz hat. In der Gegend ist eine Militärbasis und eine Flugabwehreinheit stationiert. Augenzeugen sprachen von zwei lauten Explosionen vor dem Absturz. Von den Trümmern gibt es Fotos, deren Authentizität aber nicht bestätigt ist. Es ist unsicher, ob auf diesen Bildern Schrapnelleinschläge zu erkennen sind, die typisch wären für den Treffer einer Flugabwehrrakete.
Die Embraer verlor um 18.19 Uhr Ortszeit (17.19 Uhr MESZ), eine halbe Stunde nach dem Start, massiv an Höhe. Innerhalb einer halben Minute sank das Flugzeug nach Angaben von Flightradar24 gut zwei Kilometer. Dann hielt es sich einige Sekunden auf der Höhe von rund sechs Kilometern, ehe es abstürzte. Vorher gab es keine Auffälligkeiten beim Flug.
Warum ist das Flugzeug abgestürzt?
Über die Ursache des Absturzes gibt es bislang nur Spekulationen. Der Prigoschin nahe stehende Telegram-Kanal Grey Zone schrieb von einem Abschuss des Flugzeugs durch die Flugabwehr. Den USA liegen nach eigenen Angaben allerdings keine Informationen vor, dass es durch eine Boden-Luft-Rakete abgeschossen worden sei.
Die „New York Times“ und andere US-Medien berichteten am Donnerstag unter Berufung auf US-Geheimdienstkreise, vermutlich habe eine Explosion an Bord des Flugzeuges den Absturz ausgelöst. Eine endgültige Schlussfolgerung sei noch nicht gezogen, aber eine Explosion sei derzeit die führende Theorie für die Absturzursache, schrieb die „New York Times“.
Der Russland-Experte Stefan Meister hält es für logisch, dass Russlands Präsident hinter dem Flugzeugabsturz steckt, wie er der Deutschen Presse-Agentur sagte: „Es ist letztlich keine Überraschung. Das liegt in der Logik des Systems Putin, dass man auf diese Art und Weise Stärke zeigt“, so Meister. „Prigoschin war Chefsache, also das ist letztlich im Kreml entschieden worden.“
Könnte der Tod Prigoschins Folgen für den Kreml haben?
Meister geht nicht von einem Aufstand der Wagner-Gruppe gegen den Kreml aus. „Ich sehe hier nicht, dass sich da jetzt neue Strukturen oder irgendwelche Strukturen in Wagner bilden, die dann irgendwie gegen den Kreml vorgehen“, so der Experte für Auswärtige Politik. „Das ist eine private Armee, die für Geld arbeitet“, erklärte er. Im Fokus stehe hier die Bezahlung – von wem die Aufträge kommen, sei dabei weniger relevant.
Der Geostratege und Politikwissenschaftler Alexander Libman geht ebenfalls von einer Ermordung Prigoschins aus. Das schließe aber keine zukünftige Rebellion aus. „Es bedeutet lediglich, dass die Vorbereitung darauf noch besser versteckt sein wird, und sich die Akteure noch genauer die möglichen Gefahren überlegen werden“, sagt Libman im Interview mit der „Rheinischen Post“.
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War Wagner-Chef Prigoschin tatsächlich an Bord?
Obwohl er auf der Passagierliste stand, ist damit nicht bewiesen, dass der Oligarch wirklich an Bord war. Eine Obduktion der Leichen steht noch aus. Trotzdem gibt es für Grey Zone keinen Zweifel an dem Tod.
Inzwischen hat auch Kreml-Chef Wladimir Putin den Tod von Prigoschin indirekt bestätigt. Demnach formulierte er am Donnerstag vorsichtig, dass ersten Erkenntnissen zufolge am Vorabend ein Flugzeug mit Angehörigen der Privatarmee Wagner abgestürzt sei. Er kündigte eine umfassende Aufklärung des Absturzes an. Diese habe bereits begonnen, werde aber eine Zeit lang dauern, sagte er bei einem Treffen mit dem russischen Verwaltungschef von Donezk, Denis Puschilin.
Eine Verschleierungsaktion, um von der Bildfläche zu verschwinden, kann nicht ausgeschlossen werden. Zumal schon zweimal voreilig über den Tod Prigoschins berichtet wurde. 2019 sollte er beim Absturz eines Frachtflugzeugs in Afrika, wo seine Wagner-Truppe aktiv ist, umgekommen sein. Im vergangenen Jahr wurde sein Tod im Osten der Ukraine vermeldet. Beide Male tauchte Prigoschin später lebend wieder auf.