Heute Abend "Gottschalk liest?" im TV Thomas Gottschalk: Mit Büchersendung auf dünnem Eis

Von Joachim Schmitz | 15.06.2019, 08:00 Uhr

Als „Wetten, dass..?“-Moderator war er der Quotenkönig, mittlerweile ist Thomas Gottschalk (69) Gastgeber der BR-Literatursendung „Gottschalk liest?“. Kurz vor der Aufzeichnung der zweiten Sendung in Bad Kissingen (Ausstrahlung am Dienstag um 22 Uhr) sprechen wir über Bücher, Quoten, Vergangenheit und Zukunft:

Herr Gottschalk, da wir über Literatur reden wollen, kann ich’s ja fragen: Mit wem sind Sie gestern Abend ins Bett gegangen?

Mit vier Büchern, weil ich noch mal über alles geguckt habe, was ich heute Abend ein bisschen analysieren möchte. Da waren zwei schwierige Frauen dabei. Schwierig insofern, weil sie ein Männerbild haben, von dem ich mich betroffen fühle. Frauen sehen Männer ja immer kritisch, und ich habe zwei besonders kritische zu Gast. Meine Leichtigkeit des Seins, auch und vor allem im Umgang mit Frauen, ist denen offensichtlich noch nicht begegnet. Die Autoren von heute gehen ja in der Mehrzahl davon aus, dass jeder Mensch mit einem bösen Trauma belastet ist. Ich war bisher frei von solchen Traumata und bin deshalb auch so ein fröhlicher Geselle geworden. Aber je mehr Bücher man liest, desto mehr schämt man sich dafür.

Lesen Sie auch im Bett, wenn Sie nicht am nächsten Tag eine Literatursendung moderieren?

Ich habe immer im Bett gelesen und hatte als Kind die große Leidenschaft, heimlich zu lesen, während meine Mutter dachte, dass ich schlafe. Dabei habe ich mir mehrfach die Finger verbrannt, weil ich schnell die Glühbirne aus meiner Nachttischlampe herausgedreht habe, wenn meine Mutter gekommen ist.

Lesen oder hören Sie lieber Bücher?

Bücher zu hören habe ich überhaupt nicht in meinem System. Es macht mich auch ein bisschen unwirsch, dass ich von meinem eigenen Buch eine Hörfassung einlesen muss. Wenn ich Radio mache, sollen die Leute zuhören, und wenn ich schreibe, sollen sie lesen. Vorausgesetzt natürlich, dass sie es wollen.

Gibt es Bücher, die Sie zwei- oder dreimal gelesen haben?

Eigentlich nicht. Die meisten kapiere ich schon beim ersten Mal, und die anderen lege ich nach der dritten Seite weg, weil ich sie nicht kapiere. Zweimal lesen, um einmal zu kapieren, ist nicht mein Ding.

Sie haben angeblich ein Fable für Horror.

Ja. Als ich jung war, gab“s diese Hammerhouse of Horror-Filme, die habe ich gerne geguckt. Und als Stephen King neu war, habe ich alles verschlungen, was der geschrieben hat. Irgendwann hatte ich mal genug davon, und jetzt habe ich wieder angefangen, ihn zu schätzen.

Welches Buch besitzen Sie besonders gern?

Da hab ich insofern leicht reden, weil alle meine Bücher verbrannt sind. Jetzt bin ich gerade dabei, mir aufgrund meiner Tätigkeit für den BR eine neue Bibliothek zusammenzustellen. Viele Bücher bekomme ich allerdings aufs iPad, weil sie dann noch gar nicht gedruckt und erschienen sind. Und das finde ich begrenzt lustig, weil dieses iPad ist einfach schwer, und wenn man einschläft, fällt’s einem aufs Maul. Ich hab ein Leben lang diese verschlissenen Taschenbücher mit mir rumgeschleppt, die im Urlaub Sonnenölflecken bekamen oder im Flieger vergessen wurden. Das Buch an sich ist mir vertrauter als alle Lesegeräte und anderen Möglichkeiten, die man heute so hat.

Sie sagten, alle Bücher seien verbrannt – was ist sonst aus dem Haus in Malibu geworden?

Komplett verbrannt, die Versicherung nennt das „total loss“. Es war ja eine etwas eigenartige Bude mit dem ehemaligen Bücherregal von Daphne du Maurier, dem früheren Badezimmer von Coco Chanel und Türen aus dem Orient-Express im Billardsalon – das ist alles nicht wiederzubeschaffen. Rest in Peace.

Als Sie im März zum ersten Mal mit „Gottschalk liest?“ auf Sendung gingen, wurde die Berichterstattung überlagert von den Schlagzeilen über Ihre Trennung. Hat Sie das nicht geärgert?

Ich habe längst aufgehört, mich über alles furchtbar zu ärgern, was in den Medien passiert. In der „Bunten“ bin ich immer noch auf Seite fünf, aber ich hatte ja das große Glück, dass ich schon zur Briefmarke mit der Unterschrift „Fernsehlegende Thomas Gottschalk“ geronnen war und es dann durch ein Aufflammen meiner Leidenschaften noch mal erreicht habe, auf die Titelseiten zu kommen. Es geht also immer noch.

Was würde Ihr alter Spezi Marcel Reich-Ranicki dazu sagen, dass Sie jetzt eine Literatursendung moderieren?

(imitiert Reich-Ranicki) Großartig! Du musst was zum Thema Lesen machen.

Ernsthaft?

Er hat mir ja immer dazu geraten, hatte aber auch eine völlig anormale Sicht auf das Publikumsinteresse. Ich glaube nicht, dass er sich jemals darum gekümmert hat, wie viele Menschen das „Literarische Quartett“ eingeschaltet haben. Zu dessen Hochzeiten mit Löffler, Karasek und Reich-Ranicki war das ja eine Mischung aus Satire, Unterhaltung und Literaturkritik. Das waren einfach coole Typen, denen man gerne zugehört hat. So etwas geht heute nicht mehr.

Sie zitieren Reich-Ranicki gerne mit dem Satz „Es ist Literatur, wenn es mich nicht langweilt“. Zählen Perry Rhodan und Asterix demnach auch zur Literatur?

Für mich schon, auch wenn es Literaturkritiker entsetzen wird. Es ist unterhaltsam, und wenn so ein Asterix-Heft lateinische Brocken enthält, die ich verstehe, gibt mir das als Bildungsbürger ein gewisses Überlegenheitsgefühl.

Reich-Ranicki nannte man ja den Literaturpapst. Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen – das päpstliche Alter naht allerdings heran.

Ich befinde mich aber noch im Kaplansstatus und habe auch keinerlei Ehrgeiz, den Literaturpapst zu geben, zumal das Kardinalskollegium ein unangenehmes ist. Alle, die sich zum Literaturpapst berufen fühlen, werden an meiner Sendung ohnehin furchtbar leiden. Ich habe nie mit gezinkten Karten gespielt und bin dem Bayerischen Rundfunk auch dankbar dafür, dass er sich darauf eingelassen hat.

Worauf denn?

Ich habe gesagt, dass ich als gereifter Entertainer, der mal zwei Semester Germanistik studiert hat und sich fürs Lesen interessiert, diese Sendung machen möchte, ohne wie ein Papst meine Weisheiten zu irgendwelchen Büchern zu verkünden. Ich bin niemand, der Herrn Houellebecq unterstellt, dass er die Zeit nicht richtig liest. Sondern jemand, der ein Buch liest und sich seine Gedanken macht wie vermutlich 80 Prozent der Menschen, die auf meinem Niveau lesen, um dann zu sagen: Da bin ich anderer Meinung, das habe ich nicht verstanden, darüber würde ich gerne mal mit dem Autor reden. Das Entsetzen einiger Literaturkritiker nach der ersten Sendung hat mich deshalb gar nicht überrascht – die haben offenbar nicht begriffen, worum es mir geht.

Es gab ja nicht nur Entsetzen, einige Kollegen wie die von der „Zeit“ haben Sie regelrecht gefeiert.

Ich weiß gar nicht mehr, wer mich gefeiert hat. Aber ich finde, dass so ein Experiment im dritten Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens möglich sein muss. Zumal es fast nichts kostet. Es ist ja nicht so, dass man sagen könnte, der Gottschalk liest für viel Geld Bücher und versteht sie nicht. Dass ich mir die Bücher nicht kaufen muss, ist finanziell einer der wenigen Vorzüge dieser Sendung.

Sie sprachen gerade von zwei Semestern Germanistik. Was hatten Sie damals vor mit Ihrem Leben?

Ich wollte Studienrat werden, weil ich die schon als Schüler nicht mochte. Das wäre die gerechte Rache gewesen. Tatsächlich konnte ich mir ein Leben als Volksschullehrer in Untersteinach durchaus vorstellen.

Und dann ist es ein bisschen anders gekommen. Kürzlich haben Sie gesagt, Sie wollten im Fernsehen des Bayerischen Rundfunks verglühen. War das eine Rücktrittsankündigung?

Nein, nein. Das war eher der Vergleich mit einer Supernova, die hell strahlt, bevor sie am Horizont aus dem Blickfeld der Menschheit verschwindet, aber eine angenehme Stimmung hinterlässt, sodass die Leute sagen: Ach, das war doch schön.

Was kommt denn nach der ersten Staffel von „Gottschalk liest?“? Hätten Sie Lust auf eine zweite Runde?

Falls der Bayerische Rundfunk es will und ich es physisch und psychisch leisten kann. Mir macht die Sache jedenfalls Spaß. Aber bei allem, was ich mache, liegt mein Schicksal ja auch in den Händen des Publikums. Ich mache Dinge, um damit Erfolg zu haben. Der Erfolg einer Lesesendung besteht nicht darin, dass ich sieben Millionen Zuschauer habe. Aber durch die Neugier auf die erste Sendung habe ich mit 470000 Zuschauern die Quote auf diesem Sendeplatz verdoppelt.

Was passiert, wenn die „Wetten, dass..?“-Show zu Ihrem Siebzigsten im nächsten Jahr 17 Millionen Zuschauer hat?

Das wird nicht passieren. Es ist eine Nostalgie-Veranstaltung, als ob Marcel Reich-Ranicki von den Toten aufersteht und noch mal das „Literarische Quartett“ machte. Es geht um wohlige Erinnerungen an vergangene Zeiten, aber das ist nichts, das in die Zukunft gerichtet ist.

Ist das Fragezeichen im Sendungstitel „Gottschalk liest?“ eine Reminiszenz an „Wetten, dass..?“ oder Koketterie?

Eine Demutsgeste, die ich hinzugefügt habe, um Menschen wie Sie dahingehend zu beruhigen, dass ich jetzt nicht den Literaturteil Ihrer Zeitung für mich beanspruche.

Lesen Sie die Bücher Ihrer Gäste von der ersten bis zur letzten Seite?

Das ist eine Mindestleistung, die man von mir erwarten kann. Ich würde es nicht wagen, mich da hinzusetzen und Bücher zu diskutieren, die ich nicht gelesen habe. Diese Leute sind ja auf einem anderen Level unterwegs als ich, die erschaffen fremde Welten und beschreiben Figuren, die ich ohne ihre Bücher nicht kennengelernt hätte. Für mich ist es ja schon ein Luxus dieser Sendung, dass ich Bücher lese, die ich sonst garantiert nicht gelesen hätte.

Zu „Wetten, dass..?“-Zeiten konnten Ihre Gäste nicht prominent genug sein – heute kommen Autoren wie Johanna Adorján, Marlene Streeruwitz und Friedemann Karig in Ihre Literatursendung. Die kennt nicht jeder.

Ich habe in einer Zeit Fernsehen gemacht, in der die Weltstars noch Weltstars waren und zudem den Arsch hochbekommen haben, um in einer Halle in Friedrichshafen auf ihr Werk aufmerksam zu machen. Heute twittern sie oder machen sich auf Instagram bemerkbar. Und wenn sich eine Madonna bequemt, beim Grand Prix aufzutreten, kriegt sie anschließend auf die Fresse. Frau Adorján hat über Männer geschrieben, die mir teilweise fremd und teilweise nah sind. Das interessiert mich. Ein Stephen King, der extreme Flugangst hat, wird sich nicht in den Flieger setzen, um nach Bad Kissingen zu kommen. Es muss passen, und in diesem Fall habe ich das Gefühl, dass es passt. Ich habe mit Michael Holm angefangen, mit Drafi Deutscher weitergemacht, hab’s dann zu Status Quo und Deep Purple gebracht und bin jetzt bei Frau Adorján und Frau Streeruwitz gelandet. Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen und finde das in Ordnung.

Macht Sie so eine Literatursendung nervös?

Ich war im Fernsehen nie aufgeregt, nie vom Lampenfieber gebremst. Aber ich hab schon gewusst, dass ich mit „Gottschalk liest?“ auf dünnem Eis unterwegs bin. Und ich denke ständig an diese 500 Menschen, die da im Saal sitzen – warten die jetzt darauf, dass der erste Bagger reingefahren kommt, oder halten die es eine Stunde lang aus, dass da nur vier Menschen sitzen und über Bücher reden?

Von wem würden Sie sich wünschen, dass er oder sie mal in Ihre Sendung kommt?

Es gibt schon Autoren, vor denen ich mich tief verneige. Mir ist auf der Buchmesse Martin Walser begegnet, dem ich mich sehr ehrerbietig vorgestellt habe. Und dann kannte der jede „Wetten, dass..?“-Sendung und hatte überhaupt keine Berührungsängste mit mir.

Thomas Gottschalk

wird am 18. Mai 1950 als Sohn einer Hausfrau und eines Rechtsanwalts in Bamberg geboren und wächst mit zwei jüngeren Geschwistern im fränkischen Kulmbach auf. Hier arbeitet er nebenbei als DJ, Kinder- und Jugendbetreuer und macht 1971 sein Abitur. In München bricht er ein Geschichts- und Germanistikstudium fürs Lehramt nach zwei Semestern ab und verstärkt stattdessen sein Engagement als Radiomoderator des Bayerischen Rundfunks (BR). Mitte der Siebzigerjahre tritt Gottschalk auch als Fernsehmoderator in Erscheinung und ist ab 1982 in diversen ARD-und ZDF-Showformaten zu sehen. Als Schauspieler gibt er ab Anfang der Achtzigerjahre immer wieder Vorstellungen in weniger bemerkenswerten Filmen, darunter diversen Komödien mit Mike Krüger.

Zum Topstar avanciert Gottschalk, als er 1987 von Frank Elstner die Moderation der ZDF-Show „Wetten, dass..?“ übernimmt, die er mit einer kurzen Unterbrechung bis 2011 präsentiert und ihm Zuschauerzahlen im zweistelligen Millionenbereich, Rekordgagen und lukrative Werbeverträge beschert. Der schwere Unfall des Wettkandidaten Samuel Koch im Dezember 2010 bewegt ihn nach 24 Jahren zum Rückzug. Im Mai kommenden Jahres wird er anlässlich seines 70. Geburtstags eine einmalige Spezialausgabe der mittlerweile eingestellten Show präsentieren.

Immer wieder taucht Gottschalk auch in etlichen Sat1- und vor allem RTL-Formaten auf, kann aber an seine ganz großen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Eine halbstündige Vorabend-Talkshow im Ersten wird 2012 gar wegen mangelnden Publikumsinteresses nach sechs Monaten eingestellt. Seit 2013 moderiert er auch wieder Radiosendungen, darunter einmal im Monat eine dreistündige Radioshow auf Bayern 1. 2015 erscheint seine Autobiografie „Herbstblond“, für September ist mit „Herbstbunt“ ein Nachfolger angekündigt.

Im März 2019 betritt der Moderator mit der TV-Literatursendung „Gottschalk liest?“ im BR Neuland, am kommenden Dienstag wird die in Bad Kissingen aufgezeichnete zweite Folge ausgestrahlt. Für Schlagzeilen sorgt er im Frühjahr durch die Trennung von seiner fünf Jahre älteren Ehefrau Thea, mit der Gottschalk seit 43 Jahren verheiratet ist. Vergangenheit ist auch ein 1993 erworbenes Anwesen im kalifornischen Malibu, das bei einem verheerenden Waldbrand 2018 ein Raub der Flammen wird. Gottschalks neue Partnerin ist Karina Mroß (Foto: dpa), eine 57-jährige Controllerin des Südwestrundfunks (SWR). js

Gottschalk liest?. BR Fernsehen, Dienstag, 18. Juni 2019, 22.00 Uhr.

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