Sie nennen sich "Parkland-Kids", die Jugendlichen, die das Massaker an der Parkland-Highschool in Florida überlebt haben und seitdem gegen Waffen reden, schreiben, demonstrieren, wählen. Haben sie eine Chance gegen die übermächtige amerikanische Waffenlobby?
Diesmal hat es Erwachsene erwischt: Ende Mai hat ein städtischer Angestellter bei einem Amoklauf in der Verwaltung der US-amerikanischen Stadt Virginia Beach zwölf Menschen erschossen. Im Februar 2018 erwischte es drei Lehrer und 14 Kinder der Douglas Highschool in Parkland/Florida. Sechs Minuten und 20 Sekunden brauchte der 19-jährige Täter, ein früherer Schüler der Schule, dafür: Er hatte ein Sturmgewehr vom Typ AR-15 legal erworben – da geht es schnell.
In den USA hatte es in den vergangenen Jahren etliche Vorfälle dieser Art an Schulen gegeben. Amokläufe mit Schnellfeuergewehren wie 2012 an der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown/Connecticut mit 27 Toten, aber auch kleinere Scharmützel mit zwei, drei Opfern, über die kaum geredet wird. Jetzt aber reichte es den Schülern: „Zu sagen: Wir beten für euch! reicht nicht mehr“, sagte Emma Gonzales (17), Überlebende des Massakers von Parkland, die schnell das Gesicht einer Schüler-Protestbewegung wurde: Parkland-Kids nennen sie sich. Ihr Ziel: schärfere Waffengesetze und das Verbot von Sturmgewehren für Privatpersonen. Der Film "Never again" erzählt von ihnen.

„Schon die Vorbereitung der Dreharbeiten gestalteten sich ziemlich schwierig“, sagt Sebastian Bellwinkel, der den Film im Auftrag von NDR und Arte realisiert hat. „Die führenden Köpfe der Bewegung rund um Emma Gonzalez sind von einer PR-Agentur total abgeschirmt, die haben uns wochenlang hingehalten.“ Europäische Fernsehsender, so scheint es, bringen der professionell beratenen Schüler-Initiative nichts. Ihre Botschaft transportieren sie lieber nur in heimischen Medien, die die amerikanische Öffentlichkeit ansprechen. „Geklappt hat es schließlich mit Jammal Lemy“, sagt Bellwinkel. „Er war zur Zeit des Amoklaufs seit kurzem nicht mehr Schüler der Schule, hat dort aber seinen besten Freund verloren.“ Nun sei er „kreativer Kopf“ der Bewegung und gestaltet Infomaterial, Plakate, Flyer oder Shirts.
Große Öffentlichkeit bekam die Bewegung einen guten Monat nach dem Amoklauf. Am 24. März 2018 veranstalteten die Schüler den „March for our lives“: Protestmärsche in 700 Städten, 800.000 junge Leute kamen allein in Washington zusammen; es war die größte Demo seit Jahrzehnten. Der erklärte Gegner: die mächtige Waffenlobby NRA und die Politiker, die sie unterstützen und von ihr unterstützt werden.
Seitdem hört man in Europa nicht mehr so viel, aber in den USA hat sich einiges getan. „Vor allem haben die Parkland-Schüler sich mit anderen Gruppen vernetzt“, sagt Sebastian Bellwinkel. Etwa mit den „Peace-Warriors“, einer Anti-Gewalt-Initiative in einer Highschool in Chicago. „Die Dreharbeiten dort waren wirklich erschütternd“, sagt Bellwinkel. 600 Menschen sterben Chicago jährlich durch Schussverletzungen, viele davon Unbeteiligte, die rein zufällig in die Schusslinie geraten. „Während unserer Dreharbeiten stellten die Schüler ein Kreuz für einen Mitschüler auf“, sagt Bellwinkel. „Er wurde auf dem Basketballplatz erschossen.“

Traumatisiert sei die große Mehrheit der fast ausschließlich schwarzen Schüler der Highschool in der Westside. „„Es kümmert sich niemand darum, sie müssen sich selbst helfen“, sagt Bellwinkel. Sie selbst und Pastor Gerald Smith, der in der Schule die Peace-Warriors gegründet hat und sich für Friedenserziehung im Sinne Martin-Luther-Kings einsetzt. Und sich um Mädchen wie Audrey kümmert, für die der Tod allgegenwärtig ist. Eltern und Bruder hat sie verloren. Aber sie will nicht hassen, sondern Frieden schaffen. Beeindruckende Interviews sind Bellwinkel da gelungen.
Doch welche Chance gibt Bellwinkel der Bewegung, die gegen die NRA wie David gegen Goliath wirkt? „Sie haben schon einiges erreicht“, sagt er. „Bei dem Midterm-Elections haben zum Beispiel viel mehr junge Leute gewählt und die Kandidaten unterstützt, die sich für schärfere Waffengesetze einsetzen.“ Zudem hätten einige Staaten den Kauf von Waffen erschwert oder das Mindestalter der Käufer heraufgesetzt. „Sie setzen die Politiker unter Druck, gerade die, die von der NRA finanziell unterstützt werden.“
Allerdings verließen die führenden Köpfe der Bewegung nach und nach die Highschool, um irgendwo im Land zu studieren. „Ob sie das Engagement in Zukunft durchhalten, da bin ich unsicher“, sagt Bellwinkel. „Amerika ist so groß und es gibt so viele Themen, die wichtig sind.“ Die kommenden Präsidentschaftswahlen seien allerdings für alle ein großes Ziel. „Ich denke, dass es da nochmal einen richtigen Schub geben wird.“
Schusswaffensichere Kleidung für Kinder
Der Film ist eine gelungene Mischung aus Archivaufnahmen, Experteninterviews und Gesprächen mit Betroffenen – Jugendlichen, aber etwa Eltern, die Kinder verloren haben und sich nun engagieren. „Ich habe bei den Dreharbeiten einiges dazugelernt“, sagt Sebastian Bellwinkel. „Zum Beispiel, dass nur 22 Prozent der Amerikaner überhaupt Waffen besitzen. Oder dass es in den oft sehr abgelegenen Gegenden auch ein berechtigtes Interesse gibt, sich selbst verteidigen zu können.“ Anderes sei skurril gewesen, etwa die ehrliche Begeisterung von Kunden und Verkäufern in einem Waffengeschäft in Florida. Oder die Begegnung mit einem Hersteller von schusswaffensicherer Kleidung für Schulkinder. „Diese Selbstverständlichkeit mit der mit Waffen umgegangen wird, das war aus unserer Sicht schon abgefahren.“
Never again. Amerikas Jugend gegen den Waffenwahn. Arte, Dienstag, 11. Juni 2019, 20.15 Uhr.