Misslungene Musik-Doku „London’s Burning“: Campino folgt den Wurzeln des Punk

Von Hendrik Steinkuhl | 13.08.2016, 09:12 Uhr

„Tote Hosen“-Sänger Campino hat sich für Arte auf die Spuren des Punk begeben, „London’s Burning“ heißt die Dokumentation des berühmten Musikvideo-Regisseurs Hannes Rossacher. Obwohl Campino seine Sache recht gut macht, ist der Film misslungen.

Bevor man über „London’s Burning“ redet, muss man über den Mann reden, der sich hier laut Untertitel des Film auf die Spuren des Punks begibt: Campino . Seit Jahren wird Häme und Verachtung über dem Mann ausgekübelt, nur weil er schon lange nicht mehr das ist, was er einmal war: Punk nämlich. Einige würden sicher auch bestreiten, dass dieser Andreas Frege jemals zum Anti-Establishment gehört hat.

Tatsache ist aber, dass sich Campino schon seit langer Zeit auch nicht mehr als Punk geriert. Er ist ein Rocksänger mit Wurzeln im Punk, genau die erkundet er für Arte, und  wer schon das verwerflich findet, hat wohl immer noch eine mentale Sicherheitsnadel im Ohr.

Campino in London also, im Auftrag von Arte und unter der Regie von Hannes Rossacher, dem berühmten österreichischen Musikvideo-Macher. Eine interessante Kombination, durchaus vielversprechend. Als Campino dann aber gleich am Anfang der Dokumentation ausgerechnet Bob Geldof besucht, zuckt man zusammen.

Ausgerechnet die Mensch gewordene Spendenbox, das „I Don’t Like Mondays“-One-Hit-Wonder Geldof soll den Zuschauern den Punk erklären, das können die Macher des Films doch wohl nicht ernst meinen. Zumal ja auch noch bekannt ist, dass Bob Geldof und Campino dicke Freunde sind und der geadelte Ire den ungeadelten Düsseldorfer vor zwei Jahren zu „Band Aid 30 Germany“ überredet hat, dem ziemlich klebrigen deutschen Gesinge gegen die Armut in Afrika.

Mit dem Punk hatte Geldof wenig zu tun, doch auch er versucht gar nicht, einen anderen Eindruck zu erwecken. Und als Erklärer der Jugendbewegung macht er sich ganz ordentlich: Ende der 70er steckte England fest, die Wirtschaft am Boden, die Macht lag bei den Gewerkschaften, ein Streik folgte auf den nächsten, und irgendwann wurde der Müll auf die Straße geworfen.

Geldof lässt aber keinen Zweifel daran, dass Punk zuallererst eine Reaktion auf die Entwicklung der Rockmusik war. Er erinnere sich an einen Artikel im New Musical Express, so Geldof, der den Titel getragen habe „The Titanic sails at dawn“, also die Titanic segelt in den Untergang. „Und die Titanic war der ganze aufgeblasene Bullshit, der aus Rock’N’Roll geworden war.“

Der Artikel des Autors Mick Farren aus dem Jahr 1977 ist nicht nur Geldofs – wenn es denn stimmt – Punk-Initiation, er gilt überhaupt als wesentlicher Wegweiser dieser Musikrichtung, die natürlich noch so viel mehr war als das. Von dieser immensen Bedeutung erfährt der Zuschauer aber nichts. Und das ist beileibe nicht der einzige Fall: Priorisierung, Relativierung, Einordnung – all das kommt in „London’s Burning“ viel zu kurz.

Die Dokumentation ist eine wilde Hatz von Gespräch zu Gespräch, wie eigentlich immer in Musik-Dokumentation reden Musiker und Kulturjournalisten, aber wie leider auch so oft in Musik-Dokumentationen sind es zu viele, und nach ein paar Sätzen des einen folgen schon wieder ein paar Sätze des anderen.

Wer von der Geschichte des Punk nichts oder wenig weiß, dürfte sich nach diesen 90 Minuten wie überfahren fühlen, zugekleistert mit Informationen, mit Namen von Bands vor allem, und irgendwann dreht sich alles nur noch.

Das beste Beispiel für die völlige Planlosigkeit dieser Dokumentation ist der Umgang mit der Figur Malcolm McLaren. Er war zwar nicht der Erfinder, aber als Mann hinter den maßgeblichen „Sex Pistols“ die zentrale Figur des Punk – und auch das hätte man ja mal erwähnen können. Dass McLaren wichtig war für den Punk, wird in der Dokumentation durchaus deutlich; aber welche Rolle er genau gespielt hat, dass er die Pistols gesteuert hat und der so anarchistische Punk damit eben auch einen ziemlich großen Anteil Marketing hatte – all das verschweigt „London’s Burning“ und ist deshalb auch keine gute Dokumentation.

Es ist ein Film der Andeutungen, der ewigen Zeitzeugen-Interviews, der Überfülle und der Hektik. Und dass bitte keiner mit der Verteidigung kommt, so wild und chaotisch sei ja auch der Punk gewesen, die Dokumentation wolle das doch bestimmt nur spiegeln.

Selbst wenn dem so wäre: Film funktioniert nicht nach denselben Regeln wie Musik. Und mit knapp 90 Minuten ist „London’s Burning“ auch viel zu lang. Wenn man eine Analogie in der Musik sucht, dann erinnert das Ganze irgendwann eher an einen ekstatischen, von unendlich vielen Soli durchzogenen, elf Minuten langen Prog-Rock-Song.

Dass es gerade diese Musik war, gegen die die Punks ihre mit viel Wut und wenig Talent rausgerotzten Zwei-Minuten-Stücke richteten, ist natürlich auch eine Information, die „London’s Burning“ den Zuschauern vorenthält.

Stattdessen wird immer mal wieder ein bisschen Schlager eingespielt, Deutscher Schlager natürlich, als wenn der mit der englischen Punk-Bewegung irgendetwas zu tun gehabt hätte.

Die Schuld an all dem trifft nicht Campino, der macht eine ordentliche Figur. Trotzdem möchte man ihn nach den 90 Minuten mit einem Evergreen bedenken, der ebenfalls kurz in „London’s Burning“ auftaucht: „Wärst du doch in Düsseldorf geblieben“.

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