Heute Abend Tatort-Wiederholung Große Klasse: Tatort „Stau“ aus Stuttgart heute Abend in der ARD

Von Joachim Schmitz | 21.07.2019, 12:30 Uhr

Heute Abend lohnt sich mal wieder einen Tatort-Wiederholung, und das in jeder Beziehung. Die Folge „Stau“ aus Stuttgart ist höchst außergewöhnlich, von Dietrich Brüggemann erstklassig inszeniert und zeigt Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) in einer Ausnahmesituation. Einschalten!

Staus haben Filmemacher schon immer fasziniert, seit es diese Erscheinung auf den Straßen gibt. Bereits 1979 wurde die italienisch-französisch-spanisch-deutsche Produktion „L’ingorgo“ (Deutsch: Stau) bei den Filmfestspielen in Cannes uraufgeführt. Luigi Comencinis böse Gesellschaftssatire über ein schier unauflösbares Verkehrschaos vor den Toren Roms führte Berühmtheiten wie Marcello Mastroianni, Gérard Depardieu, Ángelina Molina und den deutschen Fassbinder-Schauspieler Harry Baer vor der Kamera zusammen. Gedreht wurde auf einer eigens dafür gebauten Straße in Italien.

1979 legte dann der deutsche Regisseur Manfred Stelzer nach und drehte die klischeebeladene Satire „Superstau“, die zur Ferienzeit auf einem Autobahnabschnitt in Bayern spielt. Als Drehort nutzte er ein drei Kilometer langes stillgelegtes Autobahnteilstück südlich von Berlin, auf dem später auch diverse Folgen des RTL-Action-Spektakels „Alarm für Cobra 11“ entstanden.

Nach über 1000 Folgen erreichte das inszenierte Verkehrschaos im September 2017 auch den Tatort. Von den erwähnten Stau-Filmen unterscheidet sich dieser Tatort nicht nur durch das Verbrechen, das die Ermittler Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) auf den Plan ruft, sondern auch durch den Drehort: Sämtliche im Stau spielenden Szenen entstanden nämlich „indoor“ - an 13 Drehtagen in einer Freiburger Messehalle.

Die ersten Bilder aber spielen nicht im Stau, sondern in einer Kita. Und die ersten gesprochenen Sätze könnten zumindest beim norddeutschen Publikum einen Ab- oder Umschaltreflex auslösen und es an den Ludwigshafener Mundart-Tatort „Babbeldasch“ erinnern, der einige Monate zuvor etliche Zuschauer verschreckte. Tatsächlich ist es höchst gewöhnungsbedürftig und ein sehr spezieller Humor, wenn eine Stuttgarter Kindergärtnerin in breitestem Schwäbisch deutlich länger als eine Minute über Erziehung monologisiert und einem jungen Vater einen Blumenkohl ans Ohr schwatzt.

Regisseur Dietrich Brüggemann, der zusammen mit Daniel Bickermann auch das Drehbuch schrieb, nahm sich bei seinem Tatort-Debüt reichlich Zeit für seine Protagonisten, die er anschließend im Stau vereinte: Den vollgetexteten Vater, den Fahrer eines Krankentransporters, einen älteren Herrn, der gerade vom Vermieter eine Eigenbedarfskündigung bekommen hat; den Angestellten, der von seinem Chef noch eine abendliche Kurierfahrt aufs Auge gedrückt bekommt; das frustrierte zerstrittene Ehepaar; eine Mutter samt aufsässiger Tochter. Charakterisiert werden sie alle anhand der Musik, die sie im Auto hören.

Und der Kriminalfall? Lässt auf sich warten. Erst nach über sieben Minuten zeigt uns Brüggemann einen etwa dreijährigen Jungen, der am Fenster steht. Draußen gibt’s einen Rumms, ein Auto fährt an, der Kleine läuft zu seiner Mutter und brabbelt: „Da liegt ein Mädchen.“ Mit einem Schädelbasisbruch. Tot. Offenbar angefahren oder überfahren. Und der Weg des Unfallflüchtigen führt direkt in einen Stau. Auf der Weinsteige, einer der Verkehrsadern Stuttgarts.

Die Kommissare kommen mit Verspätung ins Spiel: Bootz ist nach acht Minuten zum ersten Mal im Bild, Lannert braucht noch fünf Minuten länger. Und sie teilen sich auf: Bootz versucht krampfhaft, dem Dreijährigen eine brauchbare Aussage zu entlocken, Lannert macht sich auf den Weg in den Stau und befragt die festsitzenden Autofahrer. Wer auf Action steht, sollte sich nach Alternativen umsehen. Wer Geduld hat, spürt, dass auch dieser Krimi nach einiger Zeit einen gewissen und immer stärker werdenden Sog entwickelt.

Interessant ist aber auch die Entstehungsgeschichte dieses Films. Dem Regisseur und Drehbuchautor Brüggemann fielen zu Stuttgart vor allem zwei Dinge ein: „Autoindustrie und Stau.“ Und da sich die ohnehin überlasteten Stuttgarter Straßen nicht für einen Tatort-Dreh sperren ließen, hat er seine Location nachgebaut: In einer Freiburger Messehalle wurde eine 100 Meter lange Mauer für die Bergseite der Weinsteige nachgebildet – auf der anderen Seite standen 80 Meter Bluescreen, auf die später Bilder des abendlichen Stuttgart projiziert wurden. „Wenn wir’s gut machen, wird’s niemand merken,“ sagte Brüggemann damals. Sie haben es gut gemacht. Sehr gut sogar.

Tatort: Stau. Das Erste, Sonntag, 21. Juli 2019, 20.15 Uhr

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