Göhrde-Morde Doku über eine verschwundene Frau und einen hartnäckigen Bruder

Von Susanne Haverkamp | 27.09.2019, 10:15 Uhr

So spannend ist nur das Leben: eine Doku wie ein Krimi über eine verschwundene Frau, einen hartnäckigen Bruder und einen Serienmörder aus Niedersachsen.

Björn Platz ist immer auf der Suche nach spannenden Mordfällen. Und nach ihrer Aufklärung. Der Journalist arbeitet für die NDR-Reihe „Morddeutschland“, in der die Arbeit von Ermittlern anhand von wahren Fällen nachgezeichnet wird. Komplizierte, langwierige, ungewöhnliche Fälle sind besonders geeignet. „Ende 2016 habe ich in der „Zeit“ gelesen, dass der Mordfall Birgit Meier nach 27 Jahren endlich aufgeklärt werden konnte. Ich dachte: Das wäre was für Morddeutschland.“ Es war aber viel größer. Und es war anders. „Morddeutschland ist eigentlich eine Verbeugung vor der Arbeit der Ermittler; der Fall Birgit Meier ist eher das Gegenteil.“

Denn gelöst werden konnte der Fall nur aufgrund der Hartnäckigkeit eines Mannes: Wolfgang Sielaff, Bruder der Verschwundenen und früher ein hohes Tier in der Hamburger Polizei. Den wiederum kannte Björn Platz aus seiner Zeit als Polizeireporter für die NDR-Hamburg-Welle 90,3. „Wir hatten damals mehrfach miteinander zu tun. Wir kamen gut miteinander klar.“ Platz fragte an, ob Sielaff sich vorstellen könnte mitzuhelfen, den Fall für den NDR nachzuzeichnen. Anfragen gab es auch von RTL und Sat.1. „Er hat sich dann für uns entschieden“ – und herausgekommen, ist eine herausragende Dokumentation. So einen Krimi schreibt nur das Leben.

"Mama ist weg!"

Das Drama beginnt am 15. August 1989. Wolfgang Sielaff, damals Chef des Hamburger Landeskriminalamts, bekommt im Büro einen Anruf von seiner Nichte Yasemine (20). „Mama ist weg!“ Der Wagen steht vor dem Haus in einem kleinen Ort bei Lüneburg, die Terrassentür steht offen. Und Birgit Meier ist weg. „Da muss was passiert sein“, ist sich die Familie einig. „Birgit wäre nie einfach so gegangen.“

Die Polizei Lüneburg sieht das anders. Wenn ein erwachsener Mensch verschwindet, heißt das nicht viel. Wolfgang Sielaff schaltet sich ein. Was nicht so einfach ist: Eine Hamburger Einmischung wird in Niedersachsen nicht gern gesehen. Trotzdem: „Als ich am Nachmittag selber rausgefahren bin, waren mehrere Polizeiwagen da. Ich hatte ein gutes Gefühl, dass was passiert“, sagt Sielaff.

Aber es passierte nicht viel, und das hatte einen Grund: In den Wochen zuvor hatte es im nahegelegenen Waldgebiet Göhrde zwei Doppelmorde gegeben: Zwei Paare waren dort im Abstand weniger Wochen tot aufgefunden worden. Alle verfügbaren Kräfte der Polizei Lüneburg waren damit beschäftigt. Dass es eine Verbindung zwischen diesen Morden und dem Verschwinden von Birgit Meier gibt – darauf kam niemand. Am ehesten glaubte man, Birgits Ehemann Harald könnte mit dem Verschwinden zu tun haben – sie lebten in Scheidung und Birgit erwartete eine große Abfindung. Aber zu beweisen war nichts.

Die Jahre gingen ins Land – und nichts tat sich. Birgit Meier war längst ein „Cold Case“, ein Altfall, der gelegentlich hervorgeholt wurde, das war’s. Dabei gab es schon früh einen zweiten Verdächtigen: Kurt-Werner Wichmann aus der erweiterten Nachbarschaft, ein zwielichtiger Typ mit langem Vorstrafenregister. Aber die Staatsanwaltschaft sah zunächst keinen Grund für nähere Nachforschungen. Und dann nahm sich Wichmann das Leben. Ermittlungen vorbei.

Wolfgang Sielaff ließ der Fall seiner Schwester natürlich nie los. Aber machen konnte er wenig. Bis er im Jahr 2003 in den Ruhestand ging. Die Aufklärung des Falls wurde sein Projekt, und eine private Soko half ihm dabei. Irgendwann wurde auch die Polizei in Niedersachsen wieder aktiv. Zwei Ermittlergruppen nahmen sich der Fälle Göhrde und Birgit Meier wieder an. Und nach 28 Jahren war klar: Beide Fälle hängen zusammen. Es gibt einen Serientäter – und der heißt Kurt-Werner Wichmann.

„Als ich ins Spiel kam“, sagt der Filmemacher Björn Platz, „war der Fall geklärt, der Täter tot. Aber die Leiche von Birgit Meier war immer noch verschwunden.“ Wolfgang Sielaff und seine private Soko arbeiteten weiter – und die Kamera war dabei. Auch als im Oktober 2017 die sterblichen Überreste tatsächlich gefunden werden. „Wir waren beim Buddeln dabei, und auch später in der Rechtsmedizin. Aber aus Rücksicht auf die Familie haben wir dort die Kamera bald ausgemacht“, sagt Platz.

Überhaupt: die betroffenen Familien. „Zweieinhalb Jahre hat mich dieser Fall beschäftigt, immer wieder haben wir gedreht“, sagt Björn Platz. Dabei sei er mehreren Familienangehörigen „sehr nahe gekommen“. Vor allem einer Tochter der Göhrde-Opfer. „Ich muss aufpassen, dass ich nicht mitleide“, sagt er, „Das reibt einen sonst auf. Aber mitfühlen kann ich schon.“ Mit manchen Personen steht er auch heute noch in losem Kontakt. Es war, sagt er, „wirklich kein Dreh wie jeder andere“.

Gegen Tote wird nicht ermittelt?

27 Jahre Pleiten, Pech und Pannen – und nur durch die Hartnäckigkeit des Bruders kommt der Fall zu einem Ende: Verliert man da nicht den Glauben an die Polizei? „Nein, sagt Platz, „eher den Glauben an die Staatsanwaltschaft. Die Polizei war ja schon früher auf dem richtigen Weg, aber die Staatsanwaltschaft hat sie immer wieder gebremst.“ Nicht genügend Hinweise für Hausdurchsuchungen, und dann, nach dem Tod des verdächtigen Wichmann, am liebsten überhaupt keine Ermittlungen mehr. „Gegen Tote wird nicht ermittelt – was soll das denn, solange der Fall noch nicht gelöst ist? Die Familien haben doch ein Recht auf Klärung! Dieses Vorgehen der Staatsanwaltschaft, sagt Platz könne er „bis heute nicht verstehen“.

Eiskalte Spur: die Göhrde-Morde und die verschwundene Frau. Am Freitag, 27. September 2019, um 20:15 Uhr im NDR

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