Donna Leon liest Klassiker nicht notwendigerweise zu Ende. Über einen hat sie sogar unterrichtet, ohne die Auflösung zu kennen. Das beichtet die Brunetti-Autorin im Interview.
Donna Leon (80) sieht Bücher unsentimental als Gebrauchsgegenstand: „Ich glaube nicht, dass Bücher heilig sind“, sagte sie unserer Redaktion. Auf die Frage, ob man ausgelesene Bücher auch in den Müll schmeißen dürfe, bezog die Krimiautorin klar Stellung: „Aber ja“, sagte sie, ergänzte aber auch: „Besser wäre es, sie zu verschenken.“
Donna Leon: „Moby Dick“ habe ich nie zu Ende gelesen
Dass man ein begonnenes Buch auch auslesen sollte, glaubt Leon nicht. In ihrem Fall gelte das sogar für Klassiker: „Nie beendet habe ich ‚Moby Dick‘. Und ich habe auch nicht das Bedürfnis, ‚Moby Dick‘ zu Ende zu lesen“, sagte sie.
Auch zu einem weiteren nur angelesenen Meisterwerk bekannte sich die einstige Literatur-Dozentin: „Edmund Spensers ‚The Faerie Queene‘ habe ich auch nie ausgelesen; was mich nicht davon abgehalten hat, es an der Uni zu unterrichten. Mit den ersten drei Vierteln war ich durch; und weil es nur in einem Überblickskurs zur englischen Literatur vorkam, konnte ich das mit meinem Gewissen vereinbaren.“
Donna Leon wird am 8. September 1942 in Montclair, New Jersey, geboren. Als Literaturstudentin lebt sie unter anderem in Siena und Perugia. Später arbeitet sie als Reisebegleiterin und Werbetexterin und unterrichtet in Maryland, in der Schweiz, Saudi-Arabien, China – und im Iran, aus dem sie 1979 vor der islamischen Revolution flieht. Sämtliche Notizen und Unterlagen zu einer Promotion über Jane Austen gehen dabei verloren. Pläne für eine akademische Laufbahn gibt sie danach auf. Ihren ersten Roman und zugleich den ersten Fall von Commissario Brunetti veröffentlicht Donna Leon als sie schon 50 Jahre alt ist. Seitdem stürmt Sommer für Sommer ein neuer Venedig-Krimi die Bestsellerlisten. Der 32. Band der Reihe heißt „Wie die Saat, so die Ernte“ und ist im Mai 2023 erschienen.