Ach waren sie schön, die 70er, 80er und 90er. Vor allem für diejenigen, die damals jung waren. Gerade sie nimmt das Fernsehen gern auf Zeitreise mit - und die jüngeren Zuschauer dürfen staunen.
Sie kennen das vielleicht: Es ist Freitagabend, nichts los und man zappt sich so durch die Fernsehprogramme. Nur Mist. Aber dann bin ich beim WDR hängengeblieben. „Unser 1984“ hieß der Film. 1984 – da habe ich mitten im WDR-Gebiet gewohnt. Bochum, ein Jahr vor dem Abi ¬ – und nach einer halben Minute war ich mittendrin: Herbert Grönemeyer veröffentlichte sein Album „4630 Bochum“. „Bochum, ich komm aus dir“ im Stadion des damals noch erstligareifen VfL. In Gelsenkirchen wurden auf der Zeche Consolidation zehn Bergleute bei einem schweren Grubenunglück verschüttet, nur wenige konnten gerettet werden. Und dann, ja, wie konnte ich das vergessen haben, das legendäre 6:6 im DFB-Pokal des damaligen Zweitligisten Schalke 04 gegen Bayern München mit einem sensationellen 18-jährigen Olaf Thon.
Weißt du noch? Wo warst du?
Es ist diese Mischung aus kollektiver Erinnerung an bewegende oder wichtige Ereignisse und persönlicher Erinnerung an die Zeit damals, die den Reiz der „Zeitreise“-Formate ausmacht, die im Fernsehen gerade einen Boom erleben. Wo war man selbst, als dies oder jenes passiert ist? Wie man was erlebt? Zusammen mit anderen solche Filme zu sehen und darüber zu reden, ist das halbe Vergnügen.
Der WDR war bei diesem Format ganz vorne mit dabei: Erst zehn Folgen für jedes Jahr der 1970er und dann wegen des großen Erfolgs zehn weitere für die 1980er. Am diesem Wochenende zieht das ZDF nun nach: drei Folgen über die 1990er – hier sind immer drei bis vier Jahre zusammengepackt.
Das Modell der ZDF-Reihe kennt man aus diversen Musikformaten, die es schon früher vorgemacht haben: unsere Hits der 70er, 80er, 90er, unsere Neue Deutsche Welle; unsere Rapper. Das Modell geht so: kurze Filme über ein Ereignis, eine Band, ein Konzert werden mehr oder weniger klug kommentiert von mehr oder weniger prominenten Persönlichkeiten. Manche kommentieren eher sachlich, andere streuen Geschichten aus dem eigenen Leben ein.

Das ZDF setzt eher auf Sachlichkeit; es geht mehr um Information als um Unterhaltung. Journalisten wie der frühere Spiegel-Redakteur Hajo Schumacher und die ZDF-Frontfrau Barbara Hahlweg kommentieren, aber auch „reflektierte Kulturschaffende“ wie Wladimir Kaminer, Esther Schweins oder Sebastian Krumbiegel. Natürlich kommen Musik, Sport und Kultur vor: der Fußball-WM-Sieg von 1990; der Aufstieg der „Fantatischen Vier“ und von Guildo Horn; die Kinoerfolge von „Go Trabi Go oder „Manta“; der Siegeszug von Mobiltelefon und WorldWideWeb; die Daily-Talks im Fernsehen und das Arschgeweih. Der Schwerpunkt liegt aber eindeutig auf der Politik: Deutsche Einheit und der Balkankrieg, fremdenfeindliche Anschläge in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mölln; die erste Rot-Grüne-Regierung und das Börsenfieber. Die 90er hatten politisch eine Menge zu bieten.
Doch TV-Zeitreisen kommen nicht nur als Dokumentation daher, manchmal haben sie auch Erlebnischarakter. „Abenteuer 1900 – Leben im Gutshaus“ war so ein früher und durchaus erfolgreicher Versuch. Lebten bei dieser ARD-Serie Menschen noch zwei Monate lang „wie in alten Zeiten“, geht das ZDF in einer neuen Reihe das Thema deutlich sparsamer an.

Zum Auftakt verordnet heute Abend der Schauspieler Thomas Heinze (55) seiner Lebensgefährtin Jackie Brown und seinen drei jugendlichen Kindern eine Zeitreise in seine eigene Jugend: 48 Stunden leben sie in einem Haus, wie es der 12-jährige Thomas 1976 bewohnt haben könnte. Mit Wahlscheibentelefon, ohne WLAN und mit nur mit drei Fernsehprogrammen. Mit Kleidung aus dem 70ern und braun-orangener Grafiktapete. „Ob die Kinder das aushalten?“, fragt sich Jacky Brown. Naja, 48 Stunden – das müsste gehen, schließlich gab es damals fließend warmes Wasser genauso wie volle Kühlschränke. Das reicht zum Überleben.
Nach Thomas Heinze nehmen noch zwei weitere Prominente ihre Familien mit ins Zeitreise-Ferienlager: An den kommenden beiden Donnerstagen – während der Sommerpause von Markus Lanz – reisen Patricia Kelly und Pierre Littbarski in die Jahre 1981 und 1972. Ganz unterhaltsam ist das, aber eben Show und ohne großen Erkenntniswert. Ein bisschen nostalgisch und ein bisschen albern. Und viel weniger unterhaltsam als „Mein 1984“.
Grüße aus 1976. Mit Thomas Heinze auf Zeitreise. Am Donnerstag, 11. Juli 2019, um 23.00 Uhr im ZDF
Die 90er – Jahrzehnt der Chancen. Drei Teile. Am Sonntag, 14. Juli 2019, ab 20.15 Uhr bei ZDFneo