Lovelyn ist Germany’s next Topmodel. Na und? Wer nur das Schrottfinale von GNTM gesehen hat, kann den Reiz der Show nicht begreifen. Wie soll man sich als Fan da rechtfertigen? Ein Gesprächsleitfaden:
Wer guckt GNTM? Grundschüler? Das Finale sah zumindest so aus. Mal liefen die Kandidatinnen auf Stelzen über die Bühne, mal wackelten Roboter durchs Bild. Heidi Klum verstellte ihre Stimme und klang, als hätte sie das ganze Fruchtgummi aus den eigenen Zehzwischenräumen auf einmal gegessen. Eine halbnackte Femen-Aktivistin wurde so schnell von der Bühne gezerrt, dass Heidi nachträglich auf sie hinweisen musste. Wer nur den Schluss gesehen hat, kann die Attraktivität von GNTM nicht verstehen. Was hat die Sendung so groß gemacht? Unser TV-Redakteur befragt sich selbst:
Sabrina, die Große
Wer GNTM in einer einzigen Szene begreifen will, muss sich den Mode-Shoot unter Skatern noch mal ansehen: Hier hat Sabrina einen vollen Walk absolviert, obwohl ihr das Kleid schon am Anfang komplett über die Unterhose gerutscht war. Heidi Klum hat es nicht verstanden, dabei war das absurde Verhalten nur logisch: Castings lehren Duldung und Selbstverleugnung. Als Genie des Ehrgeizes wäre Sabrina auch nackt weitergelaufen. Es ist ein Jammer, dass sie so kontrolliert ist. Mit ihren eisernen Prinzipien geht sie vermutlich nie ins Dschungelcamp. Schade, ich hätte sie hier gern gesehen. Hier wäre sie mit ihrem aggressiven Konkurrenzverhalten ein echter Gewinn. Nachdem GNTM die Frau vom Lande zum bösen Engel stilisiert hat, überlegt sie es sich allerdings zu Recht lieber zweimal.
Wir lieben Thomas Hayo
Eigentlich finde ich Thomas Hayo unter seiner schwitzigen Wollmütze immer ein bisschen unangenehm. Eine liebe Freundin hat mich überzeugt, dass er doch gut ist: Allein schon, wie er sich immer so schön ins Bild lehnt. Ich mag auch seine Anglizismen. Hayo sagt zum Beispiel: „Ich hatte überhaupt keine Connection zu dir.“ Oder: „Das kannst du dir so late in the game nicht erlauben. Just do it, flirty scene, Bikini-Shape.“ Man darf sich aber nicht darüber lustig machen. Wenn Heidi Klum die Mädchen mit „Waky, waky“ weckt und ihre „Boobies“ lobt, ist das albern. Aber Thomas Hayo kann nichts dafür. Er ist eben wirklich mit all den Stars befreundet, die bei GNTM immer so auflaufen: mit Fotografen, Dessous-Models, Werbe-Regisseuren, Kickboxern und Zombie-Boys. Die sprechen alle so.
Doppelte Botschaften für Jacqueline
Total ungerecht! Mit Jacqueline geht Heidi shoppen. Alle anderen müssen sich ihre hässlichen High-Heels von Mutti nach L.A. schicken lassen. Jacqueline wurde bevorzugt, seit Heidi sie in Folge 1 aus der Kirche gerettet hatte. Da hatte die Frau mit dem Berufswunsch „Pastorin oder Model“ gerade als Nikolaus das Weihnachtsmärchen geprobt. In Wahrheit war Heidis Liebe Trostpreis für Jacquelines ambivalente Staffel-Hauptrolle: Hier wurde nicht nur ein hässliches Entlein zum Schwan gepimpt, hier ging es um einen Komplettwechsel des Lebenselements: vom Altar ins Nacktshooting, vom Himmel in die Hölle. Jacquelines völlige Fremdheit in der Welt der Schönheit war das Interessanteste an Staffel 8. Ist sie also wirklich bevorzugt worden? Wann denn? Als Heidi ihren erbarmungswürdigen Kleiderschrank seziert hat? Im Entsetzensschrei der Moderatorin: „Was hast denn du für eine Unterhose an?“ Oder als sie sich für ihren Achselhaar-Wuchs rechtfertigen musste? Immerhin: „Closer than ever“ war das alles auf jeden Fall.
Maybelline statt QVC
Weil ich nicht mal weiß, ob ich analog oder digital fernsehe, werde ich auch der ständig wechselnden Senderbelegung an meinem Röhrenfernseher nicht mehr Herr. Meine liebsten Kaufkanäle finde ich schon lange nicht mehr. Und langsam vermisse ich die Dauerwerbesendungen mit quietschig übersetzten Amerikanern. Hier hilft GNTM. Nach jeder Folge bestraft ein dubioser Make-up-Profi diejenige Kandidatin mit Maybelline-Produkten, die in der Sendung davor am verhaltensauffälligsten war. Ich bin jedes Mal dran geblieben, habe aber bis zum Finale nicht verstanden: Redet der Mann wirklich so träge oder ist er spektakulär schlecht synchronisiert?
Das absolute Grauen: Heidis Trostwort
In 14 Folgen GNTM gibt es viele immer wieder wunderbar intensive Momente von Angst, Scham und Grauen. Am meisten begeistert hat mich ein Satz, mit dem Heidi Klum Luise in ihrem Heimweh getröstet hat: „Jetzt sind wir doch deine Familie.“ Ein Satz für hundert Albträume! Eine so absolute Verlassenheit habe ich nicht mehr empfunden, seit Pinocchios Kameraden von falschen Freunden ins falsche Kinderparadies gelockt und in traurige Esel verwandelt wurden.
Thomas Rath rastet aus
Eigentlich sollte Thomas Rath Juror werden, aber der Modedesigner konnte nicht. Zu beschäftigt – zum Beispiel mit Cross-Promotion im letzten „Polizeiruf“ von Jaecki Schwarz. Ab und an hat er seine kränkbares Naturell trotzdem an GNTM ausgeliehen und die Kandidatinnen zusammengeschissen – weil sie sich hingesetzt haben. In gebügelten Kleidern! Wo gibt’s denn so was? Jeder weiß, dass hochwertige Mode beim Sitzen Falten wirft und sofort auseinander bricht. Wenn sie nicht sogar explodiert. Rath ist außer sich: „Die Sachen gehören nicht euch.“ Völlig richtig! Schließlich sind die Mädchen nur Kandidatinnen. Daran erkennt man auch den Unterschied zu echten Models. Ein paar Folgen vorher hatte Heidi Klum noch demonstriert, wie sie selbst eine Pelzjacke präsentiert – schön locker durch den Wüstensand schleifen.
Was sagen die Boys dazu?
Eine ganz tolle Nummer war es, als die Boyfriends die Kandidatinnen in der Model-WG besucht haben. Es war erst in der letzten Folge soweit. Logisch: Je später, desto billiger die Reisekosten. Es waren ja kaum noch Mädchen da. Viel wichtiger ist allerdings, dass sich die Kandidatinnen mittlerweile schon 13 Folgen lang von ihren Freunden wegentwickelt hatten. Als Zuschauer hatte man sich längst an die Zwitterwesen aus kindlichem Verhalten und Lady-Optik gewöhnt. Im Spiegel der angenehm milchgesichtigen Freunde waren die Kandidatinnen auf einmal wieder als das erkennbar, was sie sind: Schülerinnen und Azubis in den Fängen von Pro Sieben.
Rassismus! Rassismus! Rassismus!
Absoluter Höhepunkt von Staffel 8: der Rassismus-Diskurs. Beim Casting für den TV-Spot des Opel Adam glaubt Maike, dass eine deutsche Automarke sicher mit einem typischen deutschen Mädel werben will. Kreisch! Deutsch sagt man doch nicht mehr. Total rassistisch! Immerhin ist Lovelyn dunkelhäutig! Sie ist in Tränen aufgelöst! Alle Kandidatinnen sind entsetzt! Heidi stellt Maike zur Rede. Und selbst im Politmagazin „red!“, wo nach GNTM Gesellschaftsthemen wie Promi-Brustvergrößerungen debattiert werden, ist man bleich vor Schreck! Als würde es in der Welt der Mode irgendeine Rolle spielen, ob Mädchen hell oder dunkel sind. Oder schön oder hässlich. Das wäre doch total sexistisch! Zum Glück ist Maike widerlegt. Das Autohaus wollte kein deutsches Mädel. Opel dreht am Ende mit der dunkelhäutigen Lovelyn. Die passte einfach am besten zur schwulen Indianer-Karikatur, über die sich der Werbespot lustig macht.