Ist „Babylon Berlin“ die beste deutsche Serie aller Zeiten oder einfach nur maßlos überschätzt? Fest steht: Die Gemeinschaftsproduktion von Sky und ARD wurde mittlerweile in 100 Länder verkauft, die dritte Staffel im Mai abgedreht. Ein Welterfolg made in Germany, basierend auf den Büchern von Volker Kutscher.
Gab es sie tatsächlich, die goldenen Zwanzigerjahre? Nein, antwortet Volker Kutscher entschieden. „Wild mögen sie gewesen sein, aber golden waren sie nur für die wenigsten. Natürlich gab es Prunk und Pomp, aber es gab vor allem totales Arbeiterelend,“ sagt der Autor im Gespräch mit unserer Redaktion.
Kutscher muss es wissen. Mit seinen mittlerweile sieben Romanen um den von Köln nach Berlin versetzten Kommissar Gedeon Rath, hat der einstige Lokalredakteur aus dem bergischen Wipperfürth nicht nur einen Millionenseller gelandet, sondern auch einen Trend getroffen und verstärkt: Die Faszination der Deutschen für die Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Kaum ein Autor hat diese Zeit und die nachfolgenden Jahre akribischer recherchiert als er. Keiner hat sie besser wieder zum Leben erweckt. Keiner hat mehr Erfolg damit. (Hier gibt es das vollständige Interview mit Volker Kutscher)

Kutschers erstes Buch „Der nasse Fisch“ sorgte aber nicht nur auf dem Büchermarkt für Furore – es hat längst auch Fernsehgeschichte geschrieben. Denn „Der nasse Fisch“ diente als Basis für eine Serie, die es so im deutschen Fernsehen noch nicht gegeben hatte: „Babylon Berlin“.
Als am 13. Oktober 2017 beim Bezahlsender Sky die erste Folge von „Babylon Berlin“ ausgestrahlt wurde, war es der Startschuss für ein Feuerwerk der Superlative. Fast 40 Millionen Euro sollen die insgesamt 16 Teile der beiden ersten Staffeln gekostet haben – teurer war hierzulande noch kein Serienprojekt.
Doch nicht nur das: Zum ersten Mal gab es eine Zusammenarbeit zwischen einem Pay-TV-Sender und dem gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Wohl auch, weil keiner der Beteiligten die Kosten hätte allein tragen können und wollen. Die Erstausstrahlung erfolgte auf Sky, ARD-Zuschauer, die nicht zusätzlich zahlen wollten, mussten noch fast ein Jahr auf „Babylon Berlin“ warten, bevor am 30. September 2018 der Tatort aus dem Programm gekegelt und eine Doppelfolge zum Auftakt der Serie gezeigt wurde.

Die Tatort-Verdrängung am Sonntagabend war zwar ein einmaliger Schritt, aber auch wochentags sorgte „Babylon Berlin“ in den folgenden Wochen für enormes Zuschauerinteresse und überwiegend begeisterte Publikumsreaktionen. Zwar sank die Zuschauerzahl von Woche zu Woche, doch der ARD-Mediathek bescherte die Serie neue Zugriffsrekorde in Millionenhöhe.

Tatsächlich hatten die Regisseure Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegten vieles richtig gemacht: Sie engagierten mit Volker Bruch als Gereon Rath und Liv Lisa Fries als dessen Geliebte Charlotte Ritter zwei relativ unverbrauchte Fernsehgesichter für die Hauptrollen. Und sie scheuten bei der Ausstattung ihrer Serie weder Kosten noch Mühen – so authentisch und frisch ist wohl noch nie ein historischer Stoff verfilmt worden. Die emotionale Kraft des Buchs allerdings konnten sie nicht auf den Bildschirm übertragen.

ARD-Programmdirektor Volker Herres schwärmte dennoch von einer „rauschhaften Inszenierung des turbulenten Lebens im Berlin der Weimarer Zeit“. Der Lohn: Laut ARD wurde „Babylon Berlin“ mittlerweile in 100 Länder verkauft und dort auch schon mit zum Teil großem Erfolg ausgestrahlt. Ein Welterfolg made in Germany. Wobei die Palette der Auszeichnungen vom Grimmepreis über Goldene Kamera, Bambi und Deutscher Fernsehpreis bis hin zum Magnolia Award des Shanghai TV Festivals reicht. Deutsche Geschichte und die deutsche Hauptstadt lassen sich als Serienstoff eben besonders gut international vermarkten.

Wenn Bücher verfilmt werden, hadern oft diejenigen mit dem Film, die das Buch gelesen haben. Zu viele Auslassungen, ganze Handlungsstränge fehlen, ebenso wie Personen, die man als wichtig erachtet hat. Vermeiden lässt es sich kaum. Denn wer einen 500- oder 600-Seiten-Roman verfilmt, kriegt die Handlung kaum in 90 Minuten unter, ohne auf jede Menge zu verzichten.
Bei „Babylon Berlin“ verhält es sich umgekehrt. „Der nasse Fisch“, Volker Kutschers so brillant recherchierter und geschriebener Roman, umfasst zwar auch mehr als 500 Seiten. Aber aus diesem Buch wurde kein 90-minütiger Film und auch kein Zweiteiler, sondern eine Serie mit 16 Folgen á 45 Minuten. Da wurde nicht ausgelassen und gestrichen, sondern ordentlich hinzugedichtet. Stets nach dem Motto „Darf’s ein bisschen dicker aufgetragen sein?“.

Hauptfigur Gereon Rath, im Buch knapp von einem Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg verschont, ist im Film ein traumatisierter Kriegsheimkehrer. In der Serie ist der junge Kommissar schwer morphiumsüchtig, während er sich im Buch gerade mal in einer Ausnahmesituation eine Prise Kokain gönnt. Seine Geliebte Charlotte ist im Buch Schreibkraft in der Mordkommission, im Film verdient sie sich als Gelegenheitsprostituierte so manche Reichsmark dazu. Und ein Goldschmuggel aus Russland nach Berlin, der im Buch eher am Rande stattfindet, nimmt im Film breiten Raum ein.
Das mag dramaturgisch notwendig gewesen sein, um 16 Folgen zu füllen. Es macht aber auch alles greller, schriller, dramatischer als es sich im Buch liest – ohne dabei die Intensität des Stoffs zu steigern. Denn während Volker Kutschers Roman straff und schlüssig daherkommt, hat „Babylon Berlin“ manch überflüssige Länge. Inmitten der allgemeinen Begeisterung über die vermeintlich „beste deutsche Serie aller Zeiten“ urteilte „Die Welt“: „Alle halten „Babylon Berlin“ für großartiges Fernsehen. Dabei ist es nichts als eine Anhäufung von Klischees und billige Kulissenschieberei.“ Und die „Süddeutsche Zeitung“ kritisierte: „So bildgewaltig die Serie ist, so schwer fällt es ihr, die Zuschauer wirklich zu berühren.“

Doch der Erfolg heiligt die Mittel. Und rechtfertigt die Fortsetzung. Bis Anfang Mai wurde die dritte Staffel abgedreht, zwölf neue Episoden sollen Ende des Jahres bei Sky und im Herbst 2020 dann auch im Ersten zu sehen sein. Volker Bruch und Liv Lisa Fries stehen als Darsteller wieder im Mittelpunkt, aber „Babylon Berlin“ verkündet auch etliche namhafte Neuzugänge: Meret Becker, Ronald Zehrfeld, Hanno Koffler, Martin Wuttke und Peter Jordan sind die bekanntesten.
Und was erhofft sich Volker Kutscher von der Verfilmung seines zweiten Gereon Rath-Romans „Der stumme Tod“, in dem sein Kommissar den Tod einer Schauspielerin ermitteln muss? „Dass die drei Autoren Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries sich trotz aller dramaturgischen Änderungen auch weiterhin der Seele der Romanvorlagen verpflichtet fühlen.“ Was soll er auch sagen, wo doch die Reichsmark beziehungsweise der Rubel rollt? Wer aber eine Zeitreise in die Zwanziger unternehmen will, ist mit Kutschers Buch besser bedient als mit "Babylon Berlin".