Kritik an den Superreichen Ute Ohoven: Nur ein Leben im Luxus würde mich krank und unglücklich machen

Von Stefan Alberti | 01.06.2019, 09:00 Uhr

Manche nennen sie „Mutter Teresa in Chanel“ oder einfach nur „Charity-Queen“. Mit solchen oft hämischen Bezeichnungen kann Ute Ohoven gut leben. Sie sagt knallhart, was sie denkt, wenn es um die Hilfe für die Ärmsten dieser Welt geht – und hat auch keine Scheu davor, die Welt der Superreichen, in der sie auch zu Hause ist, aufzumischen.

Frau Ohoven, Sie könnten Ihr Leben doch eigentlich auf ganz andere Art und Weise genießen. Warum tun Sie sich die soziale Arbeit noch an?

Es ist für mich eine Mission. Diese Arbeit erfüllt mich mit so viel Glück. Und dieses Glück könnte ich nie empfinden, wenn ich ein Leben in Luxus führen würde.

Was Sie ja zwischendurch trotzdem führen.

Ja, aber ich habe gar nicht viel Zeit dazu. Ich könnte ständig Urlaub machen, shoppen gehen und von einer Party zur nächsten fliegen. Aber das würde mich nicht erfüllen, es würde mich krank und unglücklich machen. Durch die Arbeit mit meiner „YOU Stiftung“ habe ich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Auf meinem Grabstein soll einmal stehen: „Sie hat mitgeholfen, die Welt ein bisschen menschlicher zu machen.“

Eine erstaunliche Haltung, wenn man bedenkt, dass Sie auch im Wohlstand aufgewachsen sind.

Ja, aber ich bin so erzogen worden. Mein Vater hatte ein großes Textilunternehmen. Ein Beispiel: Zu Weihnachten gab es immer eine große Feier für alle Mitarbeiter und deren Familien. Wir Kinder, sechs Mädchen und ein Junge, mussten auf der Bühne für die Belegschaft das Krippenspiel vorführen – und waren immer wütend, weil wir keinen Kakao, keinen Kuchen und kein Geschenk bekommen haben. Es war eine Erziehungsmaßnahme meines Vaters, der immer sagte: „Euch geht es gut, ihr könnt jeden Tag Kakao trinken.“ Wir haben sehr gut gelebt, aber in Demut. Wenn meine Mutter zum Einkaufen ging, gab es für sieben Kinder zwei Tafeln Schokolade. Und wenn ich in die Schule ging, habe ich mindestens noch zwei bis drei Brote mehr mitgenommen für die Kinder, die sich das nicht leisten konnten. All das hat mich geprägt.

Heute führen Sie ein Leben zwischen zwei Welten.

Und wie. Wenn ich bei einem Gala-Dinner sehe, was manche zurückgehen lassen, dann bin ich peinlich berührt. Da reagiere ich sehr aggressiv und gehe die Leute auch persönlich an. Woanders sterben die Menschen, weil sie nichts zu essen haben. Ehrlich gesagt, es wird von der oberen Schicht einfach nicht genügend für die Ärmsten der Armen getan.

Das müssen Sie mir näher erklären.

In Amerika spenden die Superreichen zum Beispiel jedes Jahr einen bestimmten Anteil ihres Vermögens für soziale Zwecke. In Deutschland tun durchaus auch viele wohlhabende Menschen Gutes, aber am liebsten möchten sie, dass es kein Mensch erfährt. Das ist falsch. Man sollte es „laut“ tun, weil andere Spender damit angesteckt werden. Bestes Beispiel dafür ist doch die Hilfsbereitschaft für den Wiederaufbau von Notre-Dame.

Für Notre-Dame wurden in zwei Tagen rund eine Milliarde Euro gespendet.

Und wie ist es zustande gekommen? Der Erste hat 100 Millionen gespendet, es öffentlich gemacht – und dann zogen weitere Superreiche nach. Daran sehen Sie doch: Es ist unendlich viel Geld vorhanden. In Frankreich, aber in Deutschland genauso. Stellen Sie sich vor: Wenn einer der Reichen mal öffentlich 50 Millionen Euro für die Altenpflege in Deutschland spenden würde, können Sie sicher sein, dass andere nachziehen.

Warum geschieht das nicht?

Sicher spielt dabei die Angst vor Neid und Missgunst eine Rolle. Auf der anderen Seite denke ich aber, wenn jemand öffentlich so viel Gutes tut, ist er eher geschützt. Glauben Sie mir, ich kenne die superreiche Szene recht gut. Es wird einfach nicht das getan, was getan werden kann und muss. Wer so ein privilegiertes Leben hat, muss etwas abgeben.

Wenn Sie mit dieser Gesellschaft so hadern, könnten Sie ihr ja auch den Rücken kehren.

Ich brauche sie für meinen Kampf für die Ärmsten der Welt. Natürlich bin ich dankbar, wenn ich eingeladen werde, weil ich dort die Möglichkeit habe, die Leute anzusprechen. Und dabei habe ich keine Gnade und lege immer wieder den Finger in die Wunde.

Wenn aufgrund Ihrer forschen Ansprache jemand auf Distanz geht – was dann?

Das ist mir egal. Ich kann mit Absagen gut leben. Schließlich weiß ich, für wen ich mich einsetze. Ich will kein Produkt verkaufen, sondern möchte einen Anteil daran haben, dass alle Menschen eine Chance auf der Welt haben und einfach ein bisschen besser leben können.

Noch mal zurück zu Notre-Dame. Wenn Sie sehen, dass für ein Bauwerk so viel Geld gespendet wird, dann müssten Sie vor dem Hintergrund Ihrer Mission doch Gift und Galle spucken.

Überhaupt nicht. Die Themen darf man nicht miteinander vermischen. Notre-Dame ist eines der bedeutendsten Kulturdenkmäler der Welt, das Gedächtnis der Menschheit. Jeder Mensch, der in Notre-Dame war, hat in dieser Zeit auch ein bisschen Halt und Frieden gefunden. So etwas muss erhalten bleiben. Ich fand es großartig, dass aus dem eigenen Land in zwei Tagen so viel Geld zusammenkam. Ich bin mir nicht sicher, ob in Deutschland so etwas möglich wäre. Na ja, nach Notre-Dame vielleicht jetzt doch. Und ich sage noch einmal: Ich wünsche mir nur, dass es für viele andere Dinge auch solche Initiativen gibt.

Was bedeutet für Sie Heimat?

Meine Familie.

Der Ort, an dem Sie leben, spielt keine Rolle?

Ich könnte überall leben, auch in Afrika oder Brasilien. Mit mir könnten Sie überall hinziehen. Hauptsache, ich habe meine Familie um mich.

Hatten Sie während Ihrer zahlreichen Auslandsreisen auch schon mal Angst um Ihr eigenes Leben?

Schon oft. Aber ich habe Gottvertrauen. Die Mission habe ich von oben bekommen und glaube fest daran, dass ich beschützt werde. Ich gehe in Kriegsgebiete, in die schlimmsten Elendsviertel. Ich gehe ohne Berührungsängste auf die Menschen zu, die schlimme Krankheiten haben.

Und Sie haben keine Angst davor, auch ernsthaft zu erkranken?

Nein. Ich habe mich zu Beginn meiner Arbeit gegen alle möglichen Krankheiten impfen lassen – und habe trotzdem schwere Erkrankungen mitgebracht: Ich hatte Dengue-Fieber, Blutvergiftungen, eine Blutpilzerkrankung und viele andere Krankheiten. Nach diesen Erfahrungen lasse ich mich nicht mehr impfen. Ich achte einfach auf Hygiene, soweit es geht. Seit Jahren fahre ich gut damit.

Ich habe gelesen, dass Sie auch öfter mit psychischen Problemen und Hörstürzen zu kämpfen hatten.

Das ist das Ergebnis dieser zwei Welten, zwischen denen ich mich bewege. Es gibt heute noch Tage, an denen ich weine, weil ich fix und fertig von den Eindrücken in den Armenvierteln bin. Auf der anderen Seite gibt mir das wiederum die große Kraft und den Willen, den Menschen in diesen Vierteln zu helfen.

Und Ihr Mann? Kann der bei Ihrem Verhalten noch ruhig schlafen?

(Lacht) Er hat sich damit abgefunden – und ist glücklich, wenn ich glücklich bin. Wissen Sie was? Wenn ich mal doch eine schwere Krankheit mitbringe, habe ich das Privileg, zu den besten Ärzten gehen zu können. Die Menschen in den Armenvierteln müssen sich oft mit ihrem Schicksal abfinden und haben nicht einmal ein Medikament.

Bleiben wir noch kurz bei Ihrem Mann: Auf ihn können Sie bei Ihren Reisen ins Ausland kaum als Begleiter zählen, oder?

Dazu haben wir einfach zu unterschiedliche Terminkalender. Aber Sie werden lachen: Er hat mich gerade erst zur erneuten Amtseinführung von Präsident Macky Sall in den Senegal begleitet. Während dieser Reise haben wir auch das Elendsviertel Baraka in Dakar besucht. Ein Viertel, das wir mithilfe meiner Stiftung zu einem lebenswerten Stadtteil umbauen. Dort hat sich mein Mann zunächst sehr zaghaft verhalten. Dann hat er aber die Scheu verloren und ist total aufgetaut. Die Frauen haben ihn umarmt, eine wollte ihn sogar heiraten. Er hat gesehen, für was ich und die Stiftung kämpfen. Für die Menschen dort bin ich schon lange die „Mama Blond“, mein Mann ist jetzt der „Papa Black“.

Wie kommt es eigentlich, dass in vielen Medien immer noch mit einem hämischen Unterton über Ihr Engagement berichtet wird?

Wenn Sie in meiner Gesellschaft leben und sich mit dieser Leidenschaft für die Ärmsten der Welt engagieren, dann nehmen Ihnen viele dieses Engagement einfach nicht ab – weil sie mich nicht persönlich kennen. Aber wissen Sie was: Es ist mir mittlerweile völlig egal, was manchmal geschrieben oder wie über mich geredet wird. Ich kann jeden Tag in den Spiegel schauen. Meine Mission ist meine Herzensangelegenheit.

Mehr Informationen:

... wird am 10. März 1946 in Tübingen geboren. Als Ute-Henriette Ulmer wächst sie mit sechs Geschwistern auf. Nach der Schule absolviert sie eine Schneiderlehre im elterlichen Textilunternehmen. Im Laufe der Jahre lernt sie den Industriellen Bernd Carlo Jerger kennen. Sie heiraten und bekommen zwei Kinder – Markus und Claudia, aber die Ehe zerbricht. Die zweifache Mutter lernt den Investmentbanker Mario Ohoven kennen und heiratet zum zweiten Mal. Aus dieser Ehe gehen ebenfalls zwei Kinder hervor – Michael und Chiara. Seit annähernd 30 Jahren setzt sich Ute Ohoven für die sozial schwächeren Menschen ein, für die Ärmsten der Armen auf dieser Welt. Sie ist maßgeblich an der Einrichtung des ersten Knochenmarkspender-Registers in Deutschland beteiligt. Von der Unesco (Organisation der Vereinen Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) wird sie zur Sonderbotschafterin ernannt. Dabei ruft Ute Ohoven auch die „YOU Stiftung – Bildung für Kinder in Not“ mit Sitz in Düsseldorf ins Leben. Mit prominenter Unterstützung tritt die Stiftung weltweit für die Verbesserung der Lebensbedingungen und für Menschenrechte ein. Ute Ohovens Engagement wird mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt. So wird ihr zum Beispiel das Bundesverdienstkreuz verliehen, ebenso erhält sie die Picasso-Medaille der Unesco in Gold.

TEASER-FOTO: