Gibt es heute im Bundestag eine überzeugende Mehrheit für den Mindestlohn? Klafft ein Riss zwischen den Gewerkschaften wegen einer Reihe von Ausnahmen? Dazu Michael Vassiliadis, Vorsitzender der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie.
Verdi-Chef Frank Bsirske hat kritisiert, die Regierungskoalition habe den gesetzlichen Mindestlohn „brutal amputiert“. Sehen Sie das auch so?
Wir haben lange für den Mindestlohn gekämpft, jetzt kommt er bundesweit. Das ist ein Riesenerfolg. Die Zeit der Dumpinglöhne geht zu Ende, davon profitieren fünf Millionen Menschen. Ausnahmen von der Regel sind immer schwierig und schaffen Ungerechtigkeiten. Dennoch bleibt es unter dem Strich dabei: Dieser Kompromiss bringt unser Land einen Schritt nach vorn. Die Arbeitsministerin hat durchgesetzt, was in der Koalition durchzusetzen war.
Die Gewerkschaften sind offenkundig gespalten in der Mindestlohnfrage. Wie tief geht der Riss?
Man sollte nicht jeden Missklang überhöhen. Wichtig ist: Unwürdiger Entlohnung wird ein Riegel vorgeschoben. Damit geht ein jahrelanger Kampf der Gewerkschaften erfolgreich zu Ende. Das hilft gerade den Menschen in den Branchen, in denen die Gewerkschaften nicht aus eigener Kraft für vernünftige Löhne sorgen können. Das ist entscheidend, darum geht es mir jedenfalls.
In der SPD wie auch beim Unions-Wirtschaftsflügel gibt es Vorbehalte: Rechnen Sie heute im Bundestag mit einer überzeugenden Mehrheit für das Mindestlohn-Gesetz?
Ja klar, die Mehrheit steht. Es wäre gut, wenn jetzt endlich auch der Wirtschaftsflügel der Union Vernunft walten lassen und seinen Sturmlauf gegen den Mindestlohn einstellen würde. Wichtig ist nun, die Tarifautonomie zu stärken und weiterzuentwickeln. Werden überall anständige und faire Tarifverträge abgeschlossen, dann wäre der Mindestlohn überflüssig.
Sie warnen vor „Wildwest auf den Energiemärkten“. Heißt das: Atomkraft ist dann gut, solange sie Arbeitsplätze sichert?
Das letzte Kernkraftwerk wird 2022 abgeschaltet, und das ist auch gut so. Wir müssen aber Brücken bauen ins Zeitalter der erneuerbaren Energien, von heute auf morgen kann das nicht funktionieren. Wir brauchen also für die konventionelle Energieerzeugung nicht fortwährende Unsicherheit, sondern verlässliche Rahmenbedingungen. Sonst geht der Arbeitsplatzabbau in der Branche weiter, begleitet von einer risikobehafteten Stromversorgung.
Sehen Sie die Akzeptanz für die Energiewende schwinden? In einer Umfrage des CDU-Wirtschaftsrates äußern sich 82 Prozent der Befragten unzufrieden über die deutsche Energiepolitik…
Der Wirtschafts- und Energieminister hat die Energiewende 2.0 auf den Weg gebracht. Allerdings wird das neue Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht ausreichen. Nach 2.0 muss 3.0 kommen. Sigmar Gabriel hat ja einen Zeitplan vorgelegt. Da muss jetzt mehr Dampf rein. Politik und Unternehmen sind aufgefordert, für Stabilität und Sicherheit in der Energiewirtschaft zu sorgen. Die Energiewende kann nur gelingen, wenn sie effizienter wird. Immer höhere Strompreise überfordern auf Dauer die Bürger wie die Unternehmen. Wer für die Energiewende ist, der muss auch für Preiswürdigkeit und Versorgungssicherheit sein.