Die Revolte der SPD gegen Parteichef Sigmar Gabriel fällt am Montag beim kleinen Parteitag in Wolfsburg aus. Stattdessen stärken die Delegierten des Parteikonvents mit einer satten Zweidrittelmehrheit den Wirtschaftsminister.
Die Stimmung vor der Tür ist am Morgen eindeutig: „SPD, zeig‘ Mut! Ceta-Stopp und gut!“, skandieren die Demonstranten vor den Absperrungen am Wolfsburger Congresspark. Im Bauch des grauen Tagungs-Betonkastens am Rande der Innenstadt ist die Stimmung vieldeutiger.
Es geht um viel
Rund 200 SPD-Spitzenleute versuchen drinnen, eine gemeinsame Haltung zum Freihandelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada zu finden. Es geht um viel: Natürlich um das 1800-Seiten-Vertragswerk mit Kanada, mit dem weite Teile der Partei hadern. Aber auch um die politische Zukunft von Sigmar Gabriel, der nicht nur Parteichef ist, sondern sich als Wirtschaftsminister klar für Ceta ausgesprochen hat.
Tiefe innerparteiliche Gräben
Erst am Wochenende zuvor waren in Deutschland hunderttausende Menschen auch gegen Ceta auf die Straße gegangen. Auch SPD-Mitglieder. Bei dem geplanten Freihandelsabkommen TTIP mit den USA sind Gabriel und seine Basis in Ablehnung vereint. Bei Ceta und Kanada sind die innerparteilichen Gräben hingegen tief – vor allem in Gabriels Heimatlandesverband Niedersachsen.
Doch an diesem Montag ist alles anders. Teilnehmer berichten von einer „erstaunlich konstruktiven Atmosphäre“ in der Kongresshalle. Und von einer fulminanten Rede. Nicht von Gabriel, obwohl EU-Parlamentspräsident Martin Schulz später sagen wird, der SPD-Chef habe den Parteitag „gerockt“.
Besuch aus Kanada
Sondern von einem Gast aus Übersee: Chrystia Freeland ist Kanadas Handelsministerin und Globalisierungsskeptikerin. Die 48-jährige Ex-Journalistin hat 2012 ein Buch über den Aufstieg der Superreichen auf Kosten aller anderen in der globalisierten Welt geschrieben. Trotzdem oder gerade deshalb wirbt sie in Wolfsburg ausdrücklich für Ceta. Die Liberale diskutiert mit den Demonstranten vor der Tür und debattiert im düsteren Bauch des Congresszentrums über die Gefahren und Möglichkeiten eines wirtschaftlichen Bündnisses zwischen Kanada und der EU. Ihre These: Kanada und Europa sind gemeinsam stärker – auch in der Verteidigung hoher Standards.
Vorstand nimmt Druck aus dem Kessel
Den Weg zur Einigkeit ebnet aber nicht nur Freeland, sondern Sozialdemokraten aus Niedersachsen: Der Ceta-kritische Hannoveraner Bundestagsabgeordnete Matthias Miersch und der Burgdorfer Europaparlamentarier Bernd Lange haben am Wochenende gemeinsam ein „Niedersachsen-Papier“ ausgearbeitet, welches die Parteiflügel verbinden soll. Der Parteivorstand arbeitet die Inhalte des Dokuments schon am Morgen in die Beschlussvorschläge des Konvents ein – und nimmt Druck aus dem Kessel.
Hauptinhalt des Änderungsantrags: Die EU soll die Europa betreffenden Teile von Ceta wie Zölle vorläufig in Kraft setzen. Bei Dingen, die nationale Interessen berühren, sollen nationale Parlamente und Interessensgruppen angehört werden. Deutschland betreffende Entscheidungen sollen erst nach ausdrücklicher Zustimmung von Bundesrat und Bundestag in Kraft treten. Zusätzlich haben die Niedersachsen weitere Bremsen eingebaut: Beim Hormonfleisch besteht die SPD auf dem in der EU gängigen Vorsorgeprinzip, welches die Einfuhr erschwert.
Klare Bekenntnisse
Zudem enthält das Niedersachsen-Papier klare Bekenntnisse zu internationalen Arbeitsstandards und zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Wie genau sich eine Umsetzung des „Niedersachsen-Papiers“ auf den Ceta-Zeitplan auswirken könnte, weiß niemand so recht. Auch ohne dürfte es Jahre dauern, bis der Vertrag von 46 europäischen Parlamenten ratifiziert ist.
Dem folgen am Ende mindestens zwei Drittel der Delegierten. Sie beauftragen ihren Parteichef zudem, beim transatlantischen Handelsministergipfel Ende Oktober für das Abkommen zu stimmen. Gabriel lobt Ceta und die kanadische Regierung über den grünen Klee: Ceta sei ein Vorbild für andere Abkommen, und dies liege an der kanadischen Regierung: „Es eint uns, dass wir Regeln für die Globalisierung wollen“, sagt der SPD-Chef über die Partner.
Was sind die Folgen für Gabriel?
Mit Ceta gebe es keine Absenkung von Standards, betont er. „Im Gegenteil.“ Der Tag in Wolfsburg habe nicht nur die Partei, sondern auch das Land und die gesamte EU „nach vorne gebracht“, assistiert EU-Parlamentspräsident Schulz.
Und was bringt der Tag Gabriel? Ist nach dem SPD-Machterhalt in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nun mit der Ceta-Befriedung der Weg für die SPD-Kanzlerkandidatur frei? „Das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun“, sagt Gabriel.