Schluss mit dem Kuschelkurs in der Regierung – speziell in der Wirtschaftspolitik? Braucht Deutschland ein Sparpaket? Kommt die Rente mit 60? Dazu im Interview Carsten Linnemann, Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT).
Heiße Debatten um die Konjunkturabkühlung: Ist die Verbindung gestört zwischen Union und SPD?
Nein. Es ist normal, dass der ein oder andere Abgeordnete einmal zuspitzt. Das gehört dazu und ist zuweilen auch eine Frage des Typs.
Es gibt eine Reihe von Kritikern, die eine neue Wirtschafts-und Finanzpolitik fordern. Hat sich in einer ungeliebten Regierungskoalition Frust entladen?
Die Kritik hat nichts mit Frust zu tun, sondern ist der neuen Situation geschuldet. Die Exporte sind massiv eingebrochen, die Investitionen rückläufig, und die Wachstumsprognosen wurden kräftig nach unten korrigiert. Das sind schlechte Aussichten für einen Staat, dessen Wohlstand eng mit der konjunkturellen Prosperität verknüpft ist. Da hilft nur eins: Alles unterlassen, was unseren Mittelstand zusätzlich belastet, und mehr Planungssicherheit schaffen.
Stützen Sie die Forderung Ihres CSU-Kollegen Ramsauer, zur Entlastung der Wirtschaft die Beschlüsse zur Rente mit 63 und zum Mindestlohn auszusetzen?
Die Methode „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“ halte ich für falsch. Sie untergräbt genau das, was wir brauchen, nämlich Vertrauen. Stellen Sie sich nur vor, wir würden den 150000 Menschen, die bereits die Rente mit 63 beantragt haben, das Stoppschild zeigen und sagen: „Wir machen alles rückgängig, was wir im Juli beschlossen haben.“ Die Leute würden sich von uns verschaukelt fühlen, und das zu Recht. Ich bleibe dabei: Verlässlichkeit und Planungssicherheit sind in der jetzigen Situation die wichtigsten Währungseinheiten.
Die SPD sagt, das Bündnis werde mit „Entgleisungen“ aus der CSU in Verruf gebracht…
Nein, Diskussionen sind doch verständlich, wenn solche Blitze wie die neuen Wachstumsprognosen einschlagen.
Ist ein Sparpaket nötig, um im Etat 2015 doch noch die „schwarze Null“, also einen Haushalt ohne neue Kredite, zu erreichen?
Nein, der Haushalt ist dank Bundesminister Schäuble gut aufgestellt.
Ist es tatsächlich so schlimm, wenn im laufenden Jahr 1,2 Prozent Wachstum kommt? 2013 waren es schließlich nur 0,2 Prozent Wachstum…
Wir sollten keine Rezession herbeireden. Aber wenn wir beim Auftragseingang in der Industrie ein Minus von sechs Prozent und bei der Produktion von Investitionsgütern ein Minus von knapp zehn Prozent haben, muss die Politik handeln.
Was ist zu tun?
Wir müssen uns die Vereinbarungen von Union und SPD für die laufende Wahlperiode noch einmal genau anschauen. Der Koalitionsvertrag muss durch einen Mittelstands-TÜV.
Welches Projekt käme nicht durch Ihren TÜV?
Das Projekt Werkverträge zum Beispiel. Ziel war, Missbrauch zu erschweren, und zwar über die Verbesserung der Informations- und Unterrichtungsrechte der Betriebsräte. Dagegen wäre nichts einzuwenden. Doch wenn SPD und Gewerkschaften immer weitere Forderungen draufsatteln, braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Wirtschaft nicht mehr investiert.
Und außerdem?
Die Bundesregierung muss schnellstmöglich eine klare Ansage machen, dass das Vermögen von Betrieben auch künftig weitgehend von der Erbschaftsteuer befreit bleibt. Denn wenn diese Regelung kassiert wird, stehen zahlreiche Familienunternehmen vor der unlösbaren Aufgabe, ihr Unternehmen an die nächste Generation weiterzugeben. Damit stehen auch Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel. Diesen Betrieben, die das Herzstück der deutschen Wirtschaft sind, muss die Regierung jetzt, in diesen Tagen, ein klares politisches Signal geben.
Die Verfassungsrichter haben hier das Wort…
Das entlässt die Politik nicht aus der Verantwortung, die Unternehmensübergaben schonend zu gestalten.
Stichwort Rente: Eine vierzehnköpfige Kommission soll bis zum Herbst Vorschläge zum flexiblen Renteneintritt erarbeiten. Wo bleibt das Konzept?
Spätestens im Dezember liegt es auf dem Tisch. Die Gespräche laufen sehr konstruktiv. Wir sind einig in dem Ziel, die Erwerbstätigkeit älterer Menschen zu heben. Es darf nicht sein, dass diejenigen, die länger arbeiten, bestraft werden. Im Gegenteil: Sie müssen belohnt werden.
Kommt die Rente mit 60, die SPD und Gewerkschaften fordern?
Sie wird nicht kommen. Punkt. Das wäre kontraproduktiv angesichts eklatanten Fachkräftemangels. Skandinavische Länder drehen solche Reformen gerade zurück. Zu Recht.
Zum Schluss: Bewegt sich die Union beim Abbau der kalten Progression nach dem Vorstoß der Mittelstandsvereinigung MIT und des Arbeitnehmerflügels CDA?
Ja, durchaus. 35 CDU-Kreisverbände haben sich bereits unserem Antrag angeschlossen. Auch einige CDU-Landesverbände haben so votiert.
Hand aufs Herz: Fühlen Sie sich von der Parteiführung als „Rebell“ geächtet?
Natürlich nicht. Dazu besteht auch kein Grund.