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Interview mit Ärztepräsident Reinhardt "Niemand will die Praxisgebühr zurück"

Von Tobias Schmidt | 01.07.2019, 03:00 Uhr

Denkbar knapp wurde Klaus Reinhardt (59) am 30. Mai zum neuen Präsidenten der Bundesärztekammer gewählt. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten steht ein praktizierender Hausarzt an der Spitze der wichtigsten Ärzte-Vertretung.

Dass der Interviewer wegen der extremen Hitze in kurzer Hose zum Gespräch geradelt kommt, stört den Vater von vier Kindern nicht. "Jetzt gibt es erstmal ein Glas Wasser für Sie", sagt er. Eine Stunde nimmt sich der BÄK-Chef Zeit, um über seine Pläne zu sprechen. Eines seiner Herzensanliegen ist die Stärkung der Prävention. Dafür will er Gesundheitsförderung zu einem Schulfach machen.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Reinhardt, in Ihren ersten Tagen im Amt haben Sie schon für Schlagzeilen gesorgt. Um Ärzten mehr Zeit zu verschaffen, fordern Sie, Patienten für überflüssige Arztbesuche zur Kasse zu bitten. Wollen Sie die Praxisgebühr wieder einführen?

Es gibt bei machen schon eine rechte Lust an der Fehlinterpretation. Deshalb lassen Sie mich noch einmal klarstellen: Niemand will die Praxisgebühr zurück, auch die Ärzteschaft nicht! Ich bin der allerletzte, der Patienten-Bashing betreiben würde. Ich will auch keine neuen Hürden für den Zugang zum Arzt schaffen.

Was ist denn Ihr Anliegen?

Wir müssen sehr ernsthaft darüber nachdenken, wie wir die knapper werdenden Personal-Ressourcen im Gesundheitssystem sinnvoller nutzen können. Ob Praxis, Notaufnahme oder Klinik: Überall herrscht eine enorme Schlagzahl. Es fehlt zu häufig die Zeit für die so wichtige menschliche Zuwendung.

Wie wollen Sie das ändern?

Viele Patienten durchlaufen zwei oder drei Stationen, bis sie an der richtigen Stelle angelangt sind. Durch diese unnötigen Termine wird die Versorgung der wirklich Bedürftigen blockiert. Also müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort landen. Hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf.

In den Niederlanden oder Finnland übernehmen studierte Krankenpfleger und Physiotherapeuten Arzt-Aufgaben, dürfen teilweise Erstuntersuchungen durchführen. Dadurch wäre doch viel Zeit für Ärzte gewonnen, oder?

Wir müssen am Erstkontakt für Ärzte festhalten. Nur Ärzte sind dafür ausgebildet und haben das nötige Wissen, um Patienten qualifiziert zu untersuchen und eine Diagnose zu stellen. Hinter Beschwerden können sich etliche, mitunter gravierende, Krankheitsbilder verbergen. Deren Differentialdiagnose kann nur von Ärzten abschließend bewertet werden. Vor allem darf es nicht dazu kommen, dass der Arztbesuch ein Privileg wird.

Der Ärzteschafft wird vorgeworfen, sie klammere sich krankhaft an ihre Kompetenz des Erstkontaktes und blockiere so selbst eine Reform…

Das ist Unfug. Die Diagnose muss Sache des Arztes bleiben, alles andere wäre fahrlässig. Richtig ist aber, dass es bestimmte Leistungen gibt, die Ärzte an andere Gesundheitsberufe delegieren können. So etwas muss man weiter fördern. Sinnvoll wären Versorgungszentren, in denen Hausärzte, Fachärzte und nichtmedizinische Fachberufe eng kooperieren, ein Team bilden. Von einer neuen Zwischenebene von akademisch ausgebildeten Pflegern und Physiotherapeuten halte ich nichts.

Auch wenn weniger Menschen krank würden, hätten die Ärzte mehr Zeit für einzelne Patienten. Unternimmt die Bundesregierung genug, um dieses Ziel zu erreichen?

In Sachen Prävention ist seit dem Präventionsgesetz aus dem Jahr 2015 nicht mehr viel passiert. Nun soll das Präventionsgesetz weiterentwickelt werden. Wichtig ist, dass die Erfahrungen der Ärzte mit dem Gesetz in die Novelle mit einfließen. Aber schon jetzt ist klar, Prävention braucht deutlich mehr Förderung. Vorbeugung ist auch eine Aufgabe der Bildung. Wir müssen die Gesundheitskompetenz schon der jungen Menschen viel intensiver stärken!

Wie?

Gesundheitsförderung sollte zu einem Schulfach werden – und zwar schon in der Grundschule. In der Umgebung tätige Ärzte könnten in den Unterricht eingebunden werden. Die Kultus- und Gesundheitsminister der Länder sollten dafür dringend eine konzertierte Aktion auf die Beine stellen. Die Bundesärztekammer würde bereitwillig an solchen Projekten mitarbeiten.

Rechnen Sie mit politischer Unterstützung?

Ein generelles Problem der Gesundheitsprävention ist, dass dafür eingesetztes Geld erst in 10, 20 oder 30 Jahren Wirkung entfaltet. Das dämpft natürlich die Motivation der Politik, sofort tätig zu werden. Junk- und Fastfood machen dick und krank. Das müssen wir den jungen Menschen sagen, und zwar am besten in der Schule oder schon im Kindergarten.

In abgelegenen Regionen sterben die Landärzte aus, so fürchten die Menschen dort. Die Sorge kann ihnen der Ärztepräsident nicht nehmen, oder?

Wir müssen bei dieser Frage realistisch bleiben. Dass in Zukunft an jedem Flecken unseres Landes noch jeder einen Hausarzt zu Fuß oder mit dem Bus erreichen können wird, ist unwahrscheinlich. Wir können aber jetzt die Weichen stellen, damit eine gute medizinische Versorgung im Großen und Ganzen flächendeckend garantiert wird.

An welche Weichen denken Sie?

Eine bundesweite Landarztquote gehört zu den sinnvollen Maßnahmen. Wer sich verpflichtet, auf dem Land zu arbeiten, muss bei der Studienplatzvergabe bessere Chancen erhalten. Und die Bundesländer müssen deutlich mehr Studienplätze anbieten. Das ist teuer, könnte aber dem Notstand entgegenwirken. Sehr viel würde erreicht, wenn gezielt in strukturschwachen Regionen neue medizinische Fakultäten angesiedelt werden. Denn viele der dort ausgebildeten Mediziner werden anschließend in der Region bleiben, in der sie Wurzeln geschlagen haben.

Stimmt es, dass der neue Ärztepräsident selbst in Italien studieren musste, weil der Numerus clausus in NRW zu streng war?

So ist es. Ich glaube, dass der NC auch heute noch eine zu hohe Zugangshürde ist. Wir brauchen einen besseren Mix, um diejenigen auszuwählen, die gerne ein Berufsleben lang als Ärzte tätig bleiben. Das Schulzeugnis hat zu viel Gewicht. Die soziale und emotionale Eignung wird durch einen NC nicht abgebildet. Notwendig ist eine Reform der Eignungsprüfungen, um diese Fähigkeiten besser zu ermitteln.

Zwei Drittel der Studienplätze werden von Frauen ergattert, weil sie die besseren Noten haben. Später arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit als Männer und gründen seltener Praxen. Sollte hier umgesteuert werden?

Bevor wir über welche Maßnahmen auch immer nachdenken, sollten wir die Kriterien für die Studienplatzvergabe reformieren. Da tut sich im Moment ja einiges und das sollten wir abwarten.

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