Neue Feinde, alte Angst Viele Deutsche sind islamfeindlich, und die Gesellschaft stößt sich nicht daran – Warum nicht?

07.01.2013, 08:01 Uhr

Als vor Jahren in Deutschland Asylbewerberheime brannten, richtete sich Rassismus pauschal gegen Ausländer. Heutzutage sind Muslime mit fremdenfeindlichen Ressentiments konfrontiert. Islamophobie ist in Deutschland gesellschaftsfähig.

In der Anonymität des Internets klingen anti-islamische Nutzer-Kommentare so: „Der Islam wird den Hass ernten, den er selbst gesät hat!“ Als bildungsunwillig werden Muslime pauschal diffamiert, „da Mohammed Analphabet war“. Und: „Fordern, fordern, fordern ist das Einzige, was diese Leute können! Ist dann irgendwann eine Schwelle überschritten, holen sie sich den Rest mit Gewalt.“

Diese Sätze stammen nicht aus islamfeindlichen Web-Portalen, sondern sind unter Artikeln auf der Homepage dieser Zeitung unter www.noz.de zu finden. Sie sind keine Einzelfälle – und nur selten werden die Schreiber von anderen Nutzern zurechtgewiesen. Im Gegenteil. Zustimmende Kommentare sind eher die Regel als die Ausnahme.

Was hier in beunruhigenden Beispielen durchschimmert, belegen Studien: Islamfeindlichkeit ist in Deutschland gesellschaftsfähig. Einer repräsentativen Umfrage der Universität Münster aus dem Jahr 2010 zufolge beschreiben 66 Prozent der West- und sogar 74 Prozent der Ostdeutschen ihre persönliche Haltung gegenüber Muslimen als negativ. Nur rund die Hälfte der Befragten meint, alle religiösen Gruppen sollten hierzulande die gleichen Rechte haben. Der umstrittenen Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre wie das Christentum zu Deutschland, stimmen laut einer aktuellen Studie des Instituts Allensbach nur 22 Prozent der Deutschen zu. Und sogar die Feststellung seines Nachfolgers Joachim Gauck, die Muslime, die hier lebten, gehörten zu Deutschland, lehnen demnach immerhin 47 Prozent der Befragten ab.

Die Folge ist ein öffentliches Klima, in dem diese Abneigung offen kommuniziert werden darf, ohne damit gesellschaftliche Tabus zu brechen – im Sinne der „Das wird man ja noch mal sagen dürfen“-Rhetorik eines Thilo Sarrazins. Der landete vor zwei Jahren mit seinen kruden Thesen über Kopftuchmädchen und die genetisch bedingte Dummheit von Muslimen einen Bestseller. Ein Skandal seien seine Ansichten, tönten manche. Und doch füllten Sarrazins Lesungen und Vorträge Hallen und Hörsäle – er hatte einen Nerv der Zeit getroffen.

Anders als offen rassistische oder antisemitische Bemerkungen ziehen anti-islamische Äußerungen selten reflexartige Verurteilungen nach sich, sondern werden meist geduldet. Diese Konsensfähigkeit begründet Alexander Häusler von der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf damit, dass sich rassistische Bilder innerhalb der Gesellschaft verlagert haben. „Sätze wie ,Ausländer raus!‘ werden heutzutage als klar rassistisch wahrgenommen und von der Mehrheit der Bevölkerung nicht akzeptiert“, sagt der Soziologe. „Undifferenzierte Kritik am Islam oder den Muslimen hingegen gilt als konsensfähig, weil sie nicht als klassisch rassistisch eingeordnet wird.“

Der Wissenschaftler sieht eine Verschiebung von einem völkischen Rassismus, der gesellschaftlich tabu ist, hin zu einem religiös-kulturellen Rassismus, der nicht als ebenso verabscheuungswürdig und insgesamt als von der Meinungsfreiheit gedeckt gilt.

In allen Schichten

Häuslers Thesen stimmen mit den Beobachtungen des Bielefelder Sozialforschers Wilhelm Heitmeyer überein. Der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld sagt: „Fremdenfeindlichkeit definiert sich nicht mehr über ethnische, sondern über religiöse Kategorien: Es heißt nicht mehr ,die Türken‘, sondern ,die Muslime‘.“ In dieser undifferenzierten Haltung der Bevölkerung sieht Heitmeyer eine große Gefahr, denn: „Je schärfer die Generalisierung ist, desto größer ist die Ablehnung.“ Anhand von Umfragen hat er herausgefunden, dass Islamophobie sowohl im Lager der Wohlhabenden und Reichen verbreitet ist als auch im politischen Milieu der Linken und der Mitte zugenommen hat. „Bildung schützt nicht vor Islamfeindlichkeit“, sagt er und spricht von einer „rohen Bürgerlichkeit“.

Nach den Attentaten von Norwegen im Juli 2011, als der Massenmörder Anders Breivik 77 Menschen tötete und dies damit begründete, er habe Norwegen gegen den Islam verteidigen wollen, schrieb der Publizist Olaf Sundermann in einem Beitrag für „Zeit online“, Europa würde die rechtspopulistische Ideologie und die wachsende Islamfeindlichkeit verharmlosen: „Eine islamophobe wie gleichsam rassistische Ideologie ist dabei, Mainstream zu werden.“ Mit diesem Satz hat Sundermann den Kern erfasst und gleichzeitig seine erste Befürchtung widerlegt. Denn um etwas zu verharmlosen, muss es als Gefahr erkannt und bewusst klein geredet werden. Die augenscheinliche Islamfeindlichkeit hingegen setzt sich langsam durch, sodass sie nicht als klar abgrenzbares Problem identifiziert, sondern schleichend zum gesellschaftlichen Konsens wird.

Die Angst vor dem Islam ist in Europa keineswegs neu. So kämpften auf der iberischen Halbinsel Christen jahrhundertelang gegen Muslime, die das spanische Festland im siebten Jahrhundert besiedelt hatten. Die sogenannte Reconquista, die Rückeroberung Spaniens, schloss das katholische Königshaus 1492 mit der Einnahme Granadas ab. Und als vor fast 500 Jahren die Türken vor der Südostgrenze des Abendlandes standen – nämlich vor Wien –, einte diese Gefahr die über Konfessionsfragen zerstrittenen Deutschen. Die Mauren in Spanien, die Türken vor Wien: Stellvertretend für die gesamte islamische Welt waren sie immer die Fremden, die eine Bedrohung darstellten. Dieses Gefühl scheint sich bis heute gehalten zu haben.

Für den Soziologen Häusler liegen die Gründe jedoch eher in der jüngeren Geschichte. „Die Entwicklung, dass Muslime als Gefahr wahrgenommen werden, geht einher mit der Entwicklung, dass Deutschland sich selbst als Einwanderungsland begriffen hat“, sagt der Wissenschaftler.

Erst ungefähr seit der Jahrtausendwende würden Themen wie Integration und Parallelgesellschaften überhaupt öffentlich und politisch diskutiert. Hinzu komme als wichtiger Faktor nach dem 11. September 2001 die Wahrnehmung eines weltweit aktiven militanten Islams. „Auf dieser Folie wird nicht mehr unterschieden zwischen der Religion und der politischen Ideologie des Islamismus“, sagt Häusler.

Nicht nur in Deutschland

Keineswegs ist Islamfeindlichkeit eine deutsche Erscheinung. Aber die entlarvende Studie der Universität Münster hat gezeigt, dass Deutsche dem Islam gegenüber weniger tolerant sind als viele ihrer europäischen Nachbarn. Anders als in den Niederlanden, Dänemark, Frankreich, Österreich oder Belgien, wo rechtspopulistische Parteien Erfolge feiern, wählen Deutsche jedoch nicht entsprechend dieser Ressentiments. „Aufgrund der deutschen Nazi-Vergangenheit ist die Hemmschwelle, für Parteien im rechten Spektrum zu stimmen, sehr hoch“, sagt Häusler, der sich intensiv mit den rechtspopulistischen und islamfeindlichen Pro-Bewegungen wie Pro NRW oder Pro Deutschland beschäftigt.

Ihm zufolge versuchen solche politischen Gruppierungen zwar, in der gesellschaftlichen Mitte nach Wählerstimmen zu fischen. Die viel größere Gefahr sieht Häusler jedoch in islamfeindlichen Beiträgen in Internetblogs und Online-Foren. „Hier wird unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit ein wahrer Kulturkampf inszeniert“, sagt er. „Die Autoren laden sämtliche Alltagskonflikte mit radikalem Gedankengut auf und präsentieren sich selbst als Schützer freiheitlicher Werte.“

Eine Islamfeindlichkeit, die alles durchsetzt und die Angst vor Überfremdung schürt. „Sobald der Islam irgendwo die Mehrheit hat“, schreibt etwa einer der zu Anfang dieses Textes zitierten Internet-Nutzer, „ist es aus mit Toleranz und Multikulti.“

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