Immer mehr Bürger fühlen sich nicht mehr von den Parteien im Bundestag vertreten, sagt Sahra Wagenknecht. Die berühmte Linken-Abgeordnete will das ändern. Sie fordert einen anderen Umgang mit der AfD und Alternativen – etwa durch eine neue Partei.
Sahra Wagenknecht scheut keine Konflikte. Die Bundestagsabgeordnete gilt als Störfaktor in ihrer Partei, der Linken, weil sie linke Positionen mit konservativen Elementen mischt. Spätestens seit ihrer kritischen Rede zu den Russland-Sanktionen vor rund einem Jahr im Bundestag gab es einen Bruch in der Fraktion.
Wagenknecht entfernt sich auch bei anderen Themen von der Parteilinie – und ist damit weit über die linke Kernwählerschaft populär geworden. Im Interview mit unserer Redaktion beklagt sie die Diskussionskultur beim Thema Migration hierzulande und sagt: „Wer die Probleme thematisiert, wird verdächtigt, AfD-nah und rassistisch zu sein.“ Die Linken-Politikerin fordert ganz klar eine Begrenzung der Zuwanderung und warnt davor, die AfD zu verteufeln.
Mehrfach schon wurde die Linken-Ikone von anderen Mitgliedern zum Parteiaustritt aufgefordert. Ihre Antwort darauf lautet: Die Politik braucht eine neue Bewegung, um die Unzufriedenen und Nicht-Wähler wieder zu erreichen. Ob sie diese neue Partei anführen wird? Das verrät Wagenknecht im Interview:
Frau Wagenknecht, die Wirtschaft steuert in eine Rezession, die Infrastruktur ist marode und die Rentenkassen leer. Doch die Ampel-Koalition widmet sich öffentlichkeitswirksam Themen wie dem Selbstbestimmungs-Gesetz oder der Cannabis-Freigabe. Hat die Berliner Regierung den Kontakt zum Bürger verloren?
Es gab selten eine Bundesregierung, die so weit weg von den Problemen und Sorgen normaler Bürger war wie diese Ampel. Diese Woche hat Kanzler Scholz in seiner Haushaltsrede gesagt, es gebe gar keine Gefahr einer Deindustrialisierung. Das ist weltfremd. Es droht eine schlimme Wirtschaftskrise und die löst man nicht durch Kürzungen bei Renten, Bildung und Gesundheit. Notwendig sind große Investitionen und eine andere Energiepolitik.
Wie kommt es, dass die Regierung den Kontakt zum Bürger verloren hat?
Die maßgeblichen Politiker bewegen sich offenbar nur noch in ihrer Blase. Klar, auch die Ampel-Abgeordneten reden in ihren Wahlkreisen mit den Bürgern, aber das findet keinen Eingang in das Regierungshandeln. Das Heizungsgesetz ist ein Beispiel für eine rein ideologie-getriebene Politik. Der Beitrag zur Co2-Einsparung ist marginal, aber das Gesetz kostet Unmengen Geld und versetzt die Menschen in Panik, ob sie ihr Haus halten können.
Nun ist der sogenannte kleine Mann ja der Stammwähler der Linken. Warum kann Ihre Partei von den Fehlern der Regierung nicht profitieren?
Weil die Linke-Spitze sich leider genauso weit von den realen Problemen der Bürger entfernt hat. Es wäre unsere Aufgabe, Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zu vertreten, Rentner mit kleinen Renten, den Teil der jungen Generation, der nicht in dem Luxus lebt, dass Papa für den Lebensunterhalt sorgt. Da das aber ausfällt, suchen sich die Unzufriedenen eine andere Adresse und das ist heute immer öfter die AfD.
Also sind die etablierten Parteien inklusive der Linken Schuld am Aufstieg der AfD?
Eindeutig ja. Ein großer Teil der Bevölkerung fühlt sich laut Umfragen von keiner Partei mehr vertreten. Viele wählen AfD aus Verzweiflung und Wut, um damit der etablierten Politiker-Klasse eine Ohrfeige zu geben. Aber diese große Repräsentationslücke ist ein Problem für die Demokratie.
Die AfD liegt bundesweit inzwischen bei 20 Prozent…
Das Problem löst man nicht, indem man auf die AfD einprügelt. Im Gegenteil, je überzogener und unsachlicher die Debatte, desto mehr hilft sie der AfD. Und viel wichtiger ist doch: Wenn die Menschen eine seriöse Alternative hätten, würden die, die von der AfD gar nicht überzeugt sind, sondern sie nur aus Verzweiflung wählen, ihr Kreuz sicher woanders machen.
Wie könnte denn eine demokratische Erneuerung aussehen, was schlagen Sie vor?
Ich bin für Elemente einer direkten Demokratie in Deutschland nach dem Vorbild der Schweiz. Etwa beim Thema Rente. Ich finde, man sollte die Bürger fragen, ob wir nicht ein Rentensystem nach dem Vorbild Österreichs schaffen sollten, statt jetzt 10 Milliarden Euro Steuergeld in eine neue Aktienrente zu versenken. In Österreich zahlen alle ein, auch Selbstständige und Politiker, und ein langjährig versicherter Rentner hat im Schnitt 800 Euro mehr im Monat als in Deutschland. Ein anderes Thema könnte die Energieversorgung sein. Wollen wir wirklich auf billiges russisches Gas verzichten, während andere europäische Länder ihren Import sogar gesteigert haben?
Die wachsende Zahl an Migranten macht vielen Bürgern Sorgen. Müsste die ungeregelte Zuwanderung nicht begrenzt werden?
Ja unbedingt. Wer wirklich verfolgt wird, verdient Schutz, aber Migration ist keine Lösung für das Problem der Armut auf dieser Welt. Es gibt Grenzen, jenseits derer unser Land überfordert wird und Integration nicht mehr funktioniert. Und wir dürfen nicht aus falsch verstandener Toleranz zulassen, dass in unserem Land religiöse Hasslehren verbreitet werden oder unser Sozialstaat ausgenutzt wird. Andere Länder lösen das Problem auch, nahezu keins ist so offen wie Deutschland.
Migranten sind ja auch eine Konkurrenz zu den sozial Schwachen in Deutschland?
Viele Bürgermeister berichten, dass in ihren Städten sämtliche Sozialwohnungen mit Flüchtlingen belegt sind. Wer eine Sozialwohnung braucht, weil er wenig Einkommen hat, wird dadurch natürlich benachteiligt. Dasselbe gilt für Kita-Plätze oder guten Unterricht in der Schule, der kaum möglich ist, wenn in einer Grundschulklasse 80 Prozent der Kinder kein Deutsch sprechen. All das betrifft nicht die hippen Trendviertel, sondern die ärmeren Wohngebiete. Mittel sind immer begrenzt, wer das leugnet, lebt nicht auf dieser Welt.
Mit dieser Auffassung sind Sie eine Außenseiterin in Ihrer Links-Partei?
Der gesamte politische Diskurs zu diesem Thema ist unehrlich, gerade im vermeintlich „progressiven“ Lager. Wer die Probleme thematisiert, wird verdächtigt, AfD-nah und rassistisch zu sein. Mir wurde das auch schon vorgeworfen, dabei stammt mein eigener Vater nicht aus Deutschland. Mir also rassistische Ressentiments vorzuwerfen, ist aberwitzig.
Sie spielen ja mit dem Gedanken, eine neue Partei zu gründen. Wen wollen Sie erreichen?
Es wäre wünschenswert, wenn die vielen Menschen, die sich eine Politik der wirtschaftlichen Vernunft und sozialen Gerechtigkeit und eine zurechnungsfähige Außenpolitik wünschen, wieder eine politische Stimme hätten. Eine, die im optimalen Fall so stark wird, dass sie die Politik verändern und die Ampel stoppen kann.
Also national-konservativ, aber dennoch links?
Jeder versteht etwas anderes unter solchen Begriffen. Ich finde, wir brauchen eine Politik für mehr sozialen Ausgleich und eine gerechtere Verteilung des Wohlstands, also die klassisch linken Themen: gute Löhne, auskömmliche Renten, soziale Sicherheit. Aktuell geht es aber vor allem auch darum, den wirtschaftlichen Abstieg unseres Landes zu verhindern.
Sie reden seit fast einem Jahr darüber. Werden Sie nicht langsam unglaubwürdig?
Eine Parteigründung ist nicht einfach. Ob man das Wagnis eingeht, kann nicht eine Person entscheiden. Eine Partei braucht fähige Organisatoren und ein Mindestmaß an Strukturen in den Ländern. Wer unvorbereitet startet, bringt ganz sicher kein Erfolgsprojekt auf den Weg. Ich habe immer gesagt: bis spätestens Ende des Jahres wird die Entscheidung fallen.