Rückführungspolitik der Ampel Deutschland schiebt mehr abgelehnte Asylbewerber ab

Von Marion Trimborn | 19.08.2023, 01:00 Uhr 14 Leserkommentare

Menschen mit abgelehntem Asylantrag müssen Deutschland innerhalb kurzer Zeit verlassen. Tun sie das nicht, droht ihnen die Abschiebung und sie werden zwangsweise zurückgebracht. Im ersten Halbjahr gab es wieder mehr Abschiebungen als zuvor.  

Die Zahl der Abschiebungen aus Deutschland ist im ersten Halbjahr um mehr als ein Viertel gestiegen. Es wurden 7 861 Personen abgeschoben, knapp 27 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Linken hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Davon waren 1 664 Frauen und 1 375 Minderjährige.

Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wird und deren Visum oder Aufenthaltstitel abgelaufen ist, müssen Deutschland innerhalb kurzer Zeit verlassen. Sie sind dann ausreisepflichtig. Reisen sie nicht innerhalb einer festgelegten Frist freiwillig aus und liegen keine Hinderungsgründe wie etwa eine Krankheit oder andere Duldungsgründe vor, muss die Ausländerbehörde sie abschieben. Das gelingt oft nicht, weil Abschiebungen in Länder wie Afghanistan wegen der dortigen Verhältnisse nicht möglich sind oder die Herkunftsländer nicht zur Rücknahme bereit sind. In der Praxis scheitern zwei von drei Abschiebungen. Gründe sind etwa, dass die Betroffenen untertauchen, Gerichte eine Abschiebung verbieten oder der Flug nicht durchgeführt werden kann. 

Zwei von drei Abschiebungen scheitern

So mussten im ersten Halbjahr laut Ministerium allein 520 Abschiebungs-Versuche auf dem Luftweg in letzter Minute abgebrochen werden, weil die Betroffenen Widerstand leisteten, die Piloten oder Fluggesellschaften sich weigerten oder die Bundespolizei die Übernahme verweigerte. 

Abschiebungen sind ein kontrovers diskutiertes Thema. Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte schon in ihrem Koalitionsvertrag eine Rückführungsoffensive angekündigt, um Ausreisen konsequenter durchzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. Bundesinnenministerin Nancy Faeser will daher die Regeln für Abschiebungen verschärfen, so sollen Betroffene etwa länger in Gewahrsam genommen werden dürfen. 

Am 30. Juni 2023 lebten nach Angaben des Innenministeriums 279.098 ausreisepflichtige Personen in Deutschland, darunter besaßen 224.768 eine Duldung. Nur bei der Hälfte der Ausreisepflichtigen, 142.035 Personen, handelte es sich um abgelehnte Asylsuchende, die im Zentrum der politischen Debatte stehen. Auch der Ablauf eines Visums oder Aufenthaltstitels kann zur Ausreisepflicht führen.
Die Zahl der Ausreisepflichtigen ist damit erstmals seit vielen Jahren gesunken: Ende 2022 lebten noch 304.308 ausreisepflichtige Personen in Deutschland. Ein Grund dafür ist, dass viele langjährig Geduldete seit Beginn des Jahres ein Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten können.

In den vergangenen Jahren hatte es – vor allem wegen der Corona-Pandemie – deutlich weniger Abschiebungen als in den Jahren zuvor gegeben. 2022 wurden aus Deutschland 12.945 Menschen abgeschoben, im Jahr 2021 waren es 11.982 Menschen und 2020 waren es 10.800. Dagegen waren vor der Pandemie 2019 noch 22.097 Menschen abgeschoben worden, 2018 noch 23.617.

Auch deshalb dürften die Zahlen für das Gesamtjahr 2023 steigen, hochgerechnet vom ersten Halbjahr ergäbe es 15.722 Abschiebungen und damit einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr um 21,5 Prozent. Allerdings dürfte der Wert immer noch deutlich unter der Vor-Corona-Zeit liegen.

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In Herkunftsländer zurückgebracht

Die meisten Ausländer wurden auch im ersten Halbjahr 2023 in ihre Herkunftsländer zurückgebracht. Die Abgeschobenen stammten vor allem aus Georgien, Nordmazedonien, Albanien, Moldau und Serbien. Nach der sogenannten Dublin-Verordnung wurden aber auch Betroffene in andere EU-Staaten überstellt, die meisten nach Österreich. Die Zahl der Dublin-Überstellungen stieg im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 35 Prozent auf 2.473 Personen. 

Mehr Menschen reisen freiwillig aus

Zusätzlich gab es in den ersten sechs Monaten auch 2.186 Zurückschiebungen. Das betrifft Menschen, die unerlaubt über die Grenze einreisen und unmittelbar danach aufgegriffen und zurückgeschickt werden. 

Ähnlich stark wie die Abschiebungen stieg auch die Zahl der Menschen, die freiwillig aus Deutschland ausreisten. Mit einer finanziellen Bundesförderungen verließen in den ersten sechs Monaten des Jahres 4.892 Menschen Deutschland (plus 24 Prozent), hinzu kamen 2.309 Personen, die mit Fördermaßnahmen von Landes- beziehungsweise kommunaler Ebene ausreisten.

Die fluchtpolitische Sprecherin der Linken, Clara Bünger, die die Anfrage gestellt hatte, kritisierte die gestiegenen Abschiebungszahlen. Bünger sagte: „Abschiebungen nehmen immer weiter zu. Allzu oft werden dadurch Menschen unter Androhung oder Anwendung von Gewalt an Orte zurück gezwungen, an denen ihnen Krieg, extreme Armut und Perspektivlosigkeit drohen. Das ist unverantwortlich.” 

Linke fordert Offensive für Menschlichkeit

Statt einer Abschiebungsoffensive forderte die Abgeordnete von der Bundesregierung „eine Offensive für Humanität und Menschlichkeit.“ Bünger sagte: „Innenministerin Faeser sollte ihren Entwurf für weitere Gesetzesverschärfungen bei Abschiebungen schlicht zurücknehmen.“ Regelmäßig werde aus der Praxis über Familientrennungen, Nachtabschiebungen, routinemäßige Fesselungen, rechtswidrige Inhaftierungen oder massive Polizeigewalt berichtet: „Hier braucht es einradikales Umdenken und eine geänderte Praxis.“

Bünger kritisierte zudem, dass das Dublin-Sytem in der EU nicht funktioniere: „Europa braucht eine solidarische Aufnahmeregelung, die auch die berechtigten Interessen der Geflüchteten mit einbezieht.“

14 Kommentare
Dieter Peters
Einen Asylanspruch besteht nicht, wenn der Antragsteller aus einem EU-Staat oder einem sicheren Drittstaat kommt. Da Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben ist, hat fast niemand einen Asylanspruch in Deutschland.