In der Affäre um ein altes antisemitisches Flugblatt hat Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger nun die 25 Fragen von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) schriftlich beantwortet. Sie liegen der Staatskanzlei vor.
Wegen der Flugblatt-Affäre hatte Bayerns Regierungschef Markus Söder seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger aufgefordert, 25 Fragen zur Aufklärung des Falls zu beantworten. Wie die Deutsche Presse-Agentur und die „Bild“-Zeitung am Freitagabend berichten, ist Aiwanger dem nun nachgekommen.
Die Staatskanzlei bestätigte den Eingang. Zum Inhalt der Antworten war zunächst noch nichts bekannt. Auch die Fragen, die die Staatskanzlei an Aiwanger geschickt hatte, waren nicht veröffentlicht worden.
Laut „Bild“-Informationen wolle Söder nun am Wochenende Zeit haben für „eine faire und abgewogene und auch glaubwürdige Entscheidung“.
Söder erhöhte am Freitag den zeitlichen Druck
Söder hatte im Vorfeld den zeitlichen Druck auf den Chef der Freien Wähler erhöht: „Für mich ist wichtig, dass die 25 Fragen jetzt umfassend und glaubwürdig beantwortet werden, und zwar zeitnah. Und zeitnah heißt am besten noch heute, im Laufe des Tages“, sagte der Ministerpräsident am Rande eines Termins im mittelfränkischen Bechhofen in Richtung Aiwanger.
Dieser hatte darauf reagiert und gesagt: „Wenn die Forderung lautet, bis heute Abend, dann werden wir versuchen, bis heute Abend zu liefern.“ Er fügte hinzu: „Ich will mir hier keinen Vorwurf machen lassen.“ Vor einem Volksfest-Auftritt in Niederbayern hatte er kurz zuvor vor Journalisten gesagt, eigentlich sei die Beantwortung erst für kommende Woche geplant gewesen.
In seiner Rede dort verteidigte er sich: „Jawohl, auch ich habe in meiner Jugend Scheiß‘ gemacht. Jawohl, ich habe auch Mist gemacht.“ Er finde es aber nicht in Ordnung, jemanden später in seinem Leben mit Dingen zu konfrontieren, die 35 bis 40 Jahre zurückliegen, „bis zu seiner beruflichen Existenzvernichtung“. Es gebe viele Dinge, die man im Nachhinein nicht mehr machen würde. Aber man müsse einem Menschen auch zubilligen, im Leben gescheiter zu werden. Er sprach erneut von einer von langer Hand geplanten Schmutzkampagne gegen ihn, „vielleicht, um die Grünen in die Landesregierung zu bringen“.
Aiwanger kämpft seit über einer Woche um seinen Ruf
Aiwanger hatte bereits am Samstag schriftlich zurückgewiesen, zu Schulzeiten das antisemitische Flugblatt geschrieben zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Wochenendausgabe berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er aber ein, es seien „ein oder wenige Exemplare“ in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf sagte Aiwangers älterer Bruder, das Pamphlet geschrieben zu haben.
Am Donnerstag entschuldigte sich Aiwanger dann erstmals öffentlich. In Bezug auf die Vorwürfe blieb er bei bisherigen Darstellungen – insbesondere, dass er das Flugblatt nicht verfasst habe und dass er sich nicht erinnern könne, als Schüler den Hitlergruß gezeigt zu haben. Gleichzeitig ging der Freie-Wähler-Chef zum Gegenangriff über, beklagte eine politische Kampagne gegen ihn und seine Partei.
Zu früh gefreut: Warum Aiwanger die Flugblatt-Affäre überstehen dürfte
Ein wenig Strenge ist demnach geboten. Folglich entschied sich Söder für seine 25 Fragen. Damit verdeutlicht er, dass er die Macht hat, sich rapportieren zu lassen. Zugleich verfällt er nicht in übermäßige Aufregung, sondern gibt den besonnenen Aufklärer.
Inzwischen auch Rückhalt
Am Ende wird Söder den Delinquenten begnadigen. Den Minister zu chassen, würde Aiwanger erst recht Rückenwind unter jenen verschaffen, die die Aufregung schon jetzt für übertrieben halten. Umfragen zeigen, dass sie die Mehrheit bilden, aber man sieht es auch im Alltag: Im Bierzelt jubeln sie mehr denn je. Und im Gegensatz zu anonymen Anschuldigern springen ihm frühere Mitschüler inzwischen auch namentlich zur Seite, statt ihn zu belasten, inklusive dessen, der das Flugblatt in einer Facharbeit verarbeitet hat und Aiwanger dezidiert nichts vorwerfen will.
Aiwangers Anhängern gilt eine gewisse Unbeholfenheit zudem als authentisch. Sie nehmen sie ihm nicht übel, im Gegenteil. Sie ist ein Abgrenzungsmerkmal zu den Polit-Profis, gegen die er agitiert, und auch gegenüber Medien wie der „Süddeutschen Zeitung“, die schäumend registrieren müssen, dass er sich ihren Rücktrittsforderungen nicht beugt und ihr zentraler Vorwurf ins Leere gelaufen ist.
Inzwischen hat sich Aiwanger auch zu einer Entschuldigung durchgerungen. Natürlich, seinen Kritikern war sie nicht gut genug. Jetzt soll es die Art seiner Reaktion sein, die in ihren Augen einen Rücktritt gebietet, gar nicht mehr der zweifelhafte Vorwurf selbst; es wirkt sehr bemüht.
Gabriel mal wieder
Zudem hat der SPD-Rentner Sigmar Gabriel an sein eigenes Lager eine interessante Frage gerichtet: Welches Ziel haben Aufklärungs- und Aussteigerprogramme, wenn ein mutmaßlicher Sympathisant der rechten Szene nach 35 Jahren dann doch gebrandmarkt wird? Dann könne man sich die Mühen auch sparen, moniert Gabriel, worin durchaus eine Logik liegt.
Wie man es also dreht und wendet: Im Ergebnis hat Aiwanger die Antisemitismus-Attacke, Stand jetzt, überstanden. Viele hätten ihm das nicht zugetraut - wie schon vieles andere in seiner Laufbahn. Dies ist durchaus bemerkenswert.