Gesamtschule Schinkel Osnabrücker Schultheater vor Gericht: AfD scheitert mit Klage gegen Kultusministerium

Von Marie Busse | 06.09.2023, 18:59 Uhr | Update am 08.09.202310 Leserkommentare

Ein 45-minütiges Schultheater hat vier Jahre nach der Aufführung in der Osnabrücker Gesamtschule Schinkel ein juristisches Nachspiel: Die AfD hat das Niedersächsische Kultusministerium deswegen verklagt. Bei der Verhandlung geht es den Rechtspopulisten um mehr als ein Schultheater.

Dass 45 Minuten Schultheater so intensiv besprochen werden, kommt selten vor. Drei Berufsrichter, zwei ehrenamtliche Richter, der Vize-Chef der AfD Niedersachsen und eine Regierungsdirektorin des Kultusministeriums analysierten am Mittwoch unter Beobachtung zahlreicher Pressevertreter das Theaterstück „Danke dafür, AfD”.

Wird der Partei in einem szenischen Einschub der Traum von einer arisch reinen Gesellschaft unterstellt, oder kann man in Szene drei der AfD Gewaltfantasien gegen Geflüchtete unterstellen? Szene für Szene gingen die Beteiligten das Theaterstück durch. In dem schmucklosen Saal des Verwaltungsgerichts ging es um die große Frage: Wie politisch dürfen Schulen sein?

Nach langer Beratung entschied das Gericht: sehr politisch. Damit wies es die Klage der AfD Niedersachsen ab. 

Osnabrücker Schule führt AfD-kritisches Theaterstück auf

Die Vorgeschichte: Im Mai 2019 zeigte der elfte Jahrgang der Gesamtschule Schinkel in Osnabrück das Theaterstück „Danke dafür, AfD“ in drei schulinternen Aufführungen. In dem Stück verknüpften die 15 Schüler Zitate von AfD-Politikern, Social-Media-Beiträge und eigene Gedanken. Sie griffen dabei Aussagen führender AfD-Funktionäre auf – wie den Satz des einstigen Parteichefs Alexander Gauland, Hitler und der Nationalsozialismus seinen „nur ein Vogelschiss in 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“.

Die Schüler brachten mit Mitteln des Theaters zum Ausdruck, dass sie der AfD die Verantwortung für die Verrohung der Gesellschaft geben. Obwohl das Stück nur etwa 70 Personen sahen, löste es bundesweit in AfD-Kreisen Empörung aus. Die Partei sah sich in dem Stück verunglimpft. Den Schulleiter erreichten zig Hassnachrichten. 

Auch vier Jahre nach der Aufführung ist im Gerichtssaal die Empörung auf Seiten der AfD nicht verflogen. „Wir wehren uns gegen einen ideologischen Schulunterricht”, sagte der AfD-Vize Stephan Bothe, der die AfD vertrat. Die Lehrer hätten in dem Stück ihr Neutralitätsgebot verletzt. Danach sind Beamte – also auch Lehrer – verpflichtet, ihre Aufgaben unparteiisch zu erfüllen und sich bei politischen Äußerungen zurückzuhalten.

Dürfen Lehrer sich politisch äußern?

Das Kultusministerium hielt dagegen: Lehrer sollen ihre Schüler zu mündigen Bürgern erziehen, die sich ihre eigene Meinung bilden. Außerdem hätten die Schüler die Inhalte selbst erarbeitet und ihre Äußerungen fallen nicht unter das Neutralitätsgebot.

In der Abwägung entschied das Gericht, dass die Neutralität nicht verletzt worden ist, weil die Schüler die Inhalte selbst erarbeiteten und die Kunstfreiheit die Äußerung der Schüler decke. 

AfD hat Schulen im Blick

Trotz dieses juristischen Dämpfers ist die AfD Niedersachsen zufrieden: „In den letzten vier Jahren gab es kein ähnliches Stück an Schulen in Niedersachsen“, sagte Bothe. Von Einschüchterung angesichts des Gerichtsprozessses könne allerdings keine Rede sein, an Schulen habe „ein Umdenken” eingesetzt, glaubt Bothe. 

Die AfD sieht sich seit Jahren in den Schulen falsch dargestellt. In Mecklenburg-Vorpommern hatte die Partei 2018 sogar kurzzeitig das Portal „Neutrale Schulen” eingerichtet. Die Rechtspopulisten hatten auf der Website Schüler aufgefordert, angebliche Verstöße von Lehrern gegen das Neutralitätsgebot im Unterricht zu melden. Mittlerweile ist das Portal verboten. 

Auch außerhalb von Schulen hat die AfD Beamte im Blick. Jüngst hat die AfD den Oldenburger Polizeipräsidenten wegen seiner AfD-kritischen Äußerungen gerügt. Wenn er davon nicht Abstand nehme, werde man klagen, kündigte Bothe an. 

AfD wirft Beamten mangelnde Neutralität vor

Auch dem Chef des niedersächsischen Verfassungsschutzes, Dirk Pejril,warf die AfD mangelnde Neutralität vor. Er hatte in einem Interview gesagt, die AfD sei eine „Gefahr für die Demokratie”. Der Chef des AfD-Landesverbands Frank Rinck sah das Neutralitätsgebot verletzt: „Weit über das rechtlich zulässige Maß im demokratischen Wettbewerb hinaus werden hier Beamte, trotz Neutralitäts- und Mäßigungspflicht, instrumentalisiert.” Ob es eine Klage geben wird, ist nicht bekannt. 

Auf Seiten des Ministeriums nahm man das Verfahren betont lässig. Zur Urteilsverkündung war die zuständige Regierungsdirektorin schon nicht mehr da. „Ich werde das ja in der Presse lesen”, sagte sie mit Blick auf die Kameras in dem Gerichtssaal. 

Der Bundesverband Theater an Schulen reagiert erfreut: „Es ist wunderbar, dass Schüler mit dem Theaterstück Haltung gezeigt haben. Das Urteil bestärkt Schulen in ihrem Engagement für Demokratie”, sagte der Sprecher Tonio Kempf gegenüber unserer Redaktion. 

Weiterlesen: Nach AfD-Klage wegen Osnabrücker Schultheater: Das sagt Kultusministerin Hamburg

10 Kommentare
Manfred Zoll
Das macht mir, als in den letzten Jahren im Krieg geboren, Mut und Hoffnung, dass die nachwachsende Jugend erkennt, was wieder für eine „braune Soße“ in Deutschland am Köcheln ist. Der „Sternekoch Höcke“ sitzt in Thüringen und verteilt seine Rezepte über ganz Deutschland. Ich meiner Jugend wurde über den Nationalsozialismus und deren Verbrechen in der Welt, leider kein Wort gesprochen. Wir hätte...