Revolution in der Bademode Vor 70 Jahren wurde der Bikini erfunden

Von Christian Satorius | 02.07.2016, 13:00 Uhr

1946 erfanden zwei Männer, Louis Réard und Jacques Heim, zur gleichen Zeit den Bikini. Zunächst ein Skandal, trat die „kleinste Bademode der Welt“ kurze Zeit später ihren Siegeszug an.

Das Schlimmste, was einem Modedesigner überhaupt nur passieren kann, widerfuhr Louis Réard vor genau 70 Jahren: Nur wenige Tage vor der Präsentation seiner allerneuesten Badebekleidung – mit der er nicht weniger vorhatte, als die gesamte Branche zu revolutionieren – kam ein Konkurrent mit der gleichen Idee auf den Markt. Der bekannte Pariser Modepapst Jacques Heim stellte seine allerneueste Kreation „Atome“ (dt. „Atom“) der Weltöffentlichkeit als „die kleinste Bademode der Welt“ vor.

Bauchnabel erstmals unbedeckt

Der ehemalige Automechaniker Réard war allerdings ein PR-Genie und nutzte den Werbespruch des Konkurrenten geschickt für sein Produkt: Am 5. Juli 1946 präsentierte er seinen „Bikini“ genannten Zweiteiler kurzerhand als „kleiner als die kleinste Bademode der Welt“. Und das stimmte sogar, denn den Besuchern des Pariser Schwimmbades Molitor klappte angesichts des winzigen neuen Kleidungsstücks erst einmal die Kinnlade herunter: So wenig Stoff in der Öffentlichkeit zu präsentieren hatte sich zuvor noch niemand getraut.

Auch die Models, die sich damals noch Mannequins nannten, trauten sich das nicht und lehnten entrüstet ab. So kam es, dass die Revue-Tänzerin Micheline Bernardini die neueBadebekleidung vorstellte, die deutlich weniger Haut bedeckte als Heims Atome. Verruchterweise ließ Réards Bikini erstmals den Bauchnabel unbedeckt – damals ein absoluter Tabubruch. Auch hintenrum zeigte die Trägerin nun sehr viel mehr Haut als alle bis zu diesem Zeitpunkt vorgestellten Zweiteiler. Der Skandal war perfekt. Réard war klar, dass die Moralapostel nicht begeistert sein würden, und rechnete von Anfang an mit dem PR-Effekt der öffentlichen Entrüstung.

Anti-Bikini-Verein in Rio de Janeiro

Aber er verrechnete sich. Die Zeitschriften erwähnten das „schamlose“ neue Kleidungsstück nur am Rande, wenn überhaupt. Im Hollywood-Kino verbot ein strenger Moralkodex, der Hays-Production-Code von 1930, derart „Unzüchtiges“ auf der Leinwand. Selbst in Rio de Janeiro gründete sich 1947 ein Anti-Bikini-Verein. In Rio!

Das Geschäft lief für Louis Réard bald sogar so schlecht, dass er wieder Knickerbocker entwerfen musste, die er in der Boutique seiner Mutter verkaufte, um über die Runden zu kommen. Den Namen „Bikini“ fand damals übrigens kaum jemand anstößig. Réard hatte ihn bewusst gewählt, weil er hoffte, sein Bikini würde in der Modewelt „einschlagen wie eine (Atom-)Bombe“. Die war damals in aller Munde, denn nur wenige Tage vor der Präsentation im Pariser Schwimmbad Molitor hatten im Bikini-Atoll der Marshallinseln die ersten Atomwaffentests der Nachkriegszeit stattgefunden. Heute würde wohl niemand mehr auf die Idee kommen, seine neueste Bademode nach einem Atomwaffentestgelände zu benennen. Vor 70 Jahren sah das anders aus. Das Atom hatte in der Öffentlichkeit noch nicht dieselbe Sprengkraft wie heute, im Kalten Krieg war Abschreckung angesagt, und so beherrschten die Tests lange Zeit die Schlagzeilen der Presse.

Sexuelle Revolution in den 1960er Jahren

Aber die Zeiten änderten sich. Schon in den 1950er-Jahren empfand man den Hays-Code in Hollywood vielfach als nicht mehr zeitgemäß, in den 1960ern machte die Sexuelle Revolution ihm dann endgültig den Garaus. Überhaupt waren die Zeiten nun freier und lockerer geworden, die Frauen emanzipierten sich zunehmend. Die Zeit des Minirocks und des Bikinis war gekommen.

Brigit Bardot zeigte sich bei den Filmfestspielen von Cannes im Bikini, Marilyn Monroe, Rita Hayworth und Elizabeth Taylor trugen ihn im Film. Unvergessen ist bis heute Raquel Welchs Steinzeit-Bikini aus Fell und Leder, den sie 1966 im Film „Eine Million Jahre vor unserer Zeit“ trug, und natürlich der Bikini, in dem Ursula Andress in „James Bond – 007 jagt Dr. No“ schon 1962 den Fluten entstieg. Erst zwei Jahre zuvor hatte Brian Hyland mit dem ebenfalls bis heute unvergessenen Song „Itsy Bitsy Teenie Weenie Yellow Polka Dot Bikini“ weltweit die Charts gestürmt.

Bikinis mit Stringtanga

Kein Wunder also, dass bald zahlreiche Varianten dieser Bademode auf den Markt kamen. 1964 brachte der Wiener Rudi Gernreich den Monokini ohne Oberteil heraus. Vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren wurden Bikinis mit Tanga (Slip mit dünnem Bund) und String-Tanga (engl. „String“ bedeutet „Schnur“) beliebt. Am wenigsten Haut bedecken heutige Microkinis und die aufklebbaren Pasties, am meisten wohl Tankinis (Slip mit Tank-Top) und Skirtinis (Bikini-Top mit kurzem Rockunterteil). Sogar für Männer gibt es inzwischen „Mankini“ genannte Bademode.

Aus dem 3-D-Drucker

Auch die Materialien haben sich im Laufe der Zeit geändert. Während die ersten Bikinis noch aus Baumwolle und Jersey gefertigt waren, konnten bald Kunstfasern aus Polyamiden durch die schnelle Trocknung überzeugen. Das dehnbare Elastan erhöhte die Passform schon Anfang der 1960er-Jahre. Heute gibt es kaum ein Material und kaum ein Herstellungsverfahren, das sich für die beliebten Zweiteiler nicht eignet, seien es nun Kunstfasern, Leder oder sogar Metalle. Inzwischen kommt der Bikini („N12“) auch schon aus dem 3-D-Drucker. Wer hätte das vor 70 Jahren gedacht?

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