Kolumne „Rest der Republik“ Ebenfalls ein Entwicklungsland? Falls ein mauretanischer Minister mal nach Deutschland käme...

Eine Kolumne von Burkhard Ewert | 18.08.2023, 11:00 Uhr 3 Leserkommentare

Im Namen der wertebasierten Außenpolitik besucht SPD-Entwicklungsministerin Svenja Schulze deutsche Kooperationsprojekte in Westafrika. Wie würden solche Ministerreisen wohl umgekehrt ablaufen? Ein Gedankenspiel.

Heute melde ich mich aus Mauretanien. Ich begleite eine Delegation der deutschen Entwicklungsministerin Svenja Schulze.

Die Reise hat ihren Sinn, das will ich ganz klar sagen. Seit einigen Wochen ist die Sozialdemokratin Schulze Präsidentin der Sahel-Allianz, was eine Art Koordinierungsgremium westlicher Geldgeber für die Region ist. Ein Ziel ist es, besser sichtbar zu sein. Während China und Russland teils deutlich niedrigere Beträge aufwenden, wird der Westen insgesamt weniger wahrgenommen. Das eine Land macht hier etwas, das nächste dort, einer setzt mehr auf Fischerei, der nächste auf Frauen, und dann läuft das Projekt irgendwann aus oder ist nach einem Putsch nicht mehr opportun, und nach einer Weile ist es fast so, als wäre nichts gewesen. 

Die Allianz bündelt Geld und damit Einfluss. Also, nichts dagegen, dass sich Schulze die Region anschaut, zumal ich erlebe, dass sie den Gastgebern sehr zugewandt begegnet und sich mit emotionalisierenden Appellen und moralisierenden Bewertungen im Stil der Außenministerin zurückhält.

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Deutschland ist mehr als die Stadt Berlin. Politische Entscheidungen haben zu selten einen Bezug zur Realität in der Fläche. Die Kolumne von Burkhard Ewert gibt Positionen Raum, die zu wenig Geltung erhalten im Betrieb der Berliner Blase. Den Blick aus dem „Rest der Republik“ gibt es auch als Newsletter, Woche für Woche.

Basis ist gleichwohl ein wertebasierter Ansatz, auf den sich die Bundesregierung für ihre Außen- und Entwicklungspolitik verständigt hat. Und so geht mir manchmal die Frage durch den Kopf, wie es sich mit solchen Ministerreisen wohl umgekehrt verhielte. Wenn nicht deutsche Politiker den Brasilianern erzählen würden, dass sie ihren Regenwald schützen müssen. Sondern wenn ein brasilianischer Minister mit einer Delegation von Beamten und Medienleuten nach Berlin und Buxtehude reiste, sich verschiedene Dinge anguckt und dann befindet, Deutschland sei beim Thema XYZ schon recht weit, aber längst nicht am Ziel. 

Um das Gedankenspiel fortzuführen: Was würde ein Mauretanier den Deutschen sagen, wenn man die Perspektive umkehrt? Während Schulze in Westafrika deutsche Kooperationsprojekte besucht, würde er in Deutschland vielleicht eine kofinanzierte Koranschule begutachten und anregen, dass es von diesen großartigen Beispielen der Zusammenarbeit noch mehr geben müsse. 

Beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft würde er darauf hinweisen, dass die Möglichkeiten der Beschäftigung für Flüchtlinge in Deutschland viel zu gering sind. In Mauretanien dürfen sich die Flüchtlinge aus Mali weitgehend frei bewegen und auch arbeiten, worauf er stolz ist.

Vielleicht würde er einige Worte über das soziale Zusammenleben fallen lassen. Dezent natürlich, um nicht beleidigend zu sein, aber doch vernehmbar könnte er anmerken, dass der Zusammenhalt der Familien in Deutschland gestärkt werden sollte; in Afrika spiele er jedenfalls eine wichtigere Rolle. Außerdem erwarte er dringend Fortschritte beim Kampf gegen Rassismus und Ausländerdiskriminierung.

Außenpolitisch könnte er sich wünschen, wer weiß, dass Deutschland eine stärkere Rolle bei der friedlichen Beilegung von Konflikten spielt, seine Militärausgaben senkt und einer unkontrollierten Ausbreitung von Waffen in aller Welt vorbeugt. Die ersten Gerätschaften aus der Ukraine sind in Afrika bereits in Rebellenhand.

In seinen Gesprächen würde sich der mauretanische Gast auch berichten lassen, wie die Bundesregierung ihre ökonomischen Probleme meistern wolle: die Wirtschaftsleistung schrumpft, die Bevölkerung ist zunehmend freizeitorientiert, das weltweit gelobte System der dualen Ausbildung kommt an sein Ende, weil nur noch wenige Menschen sich die Finger schmutzig machen wollen. Zugleich verlassen zunehmend junge Leute die Schule ohne hinreichende Fertigkeiten oder überhaupt einen Abschluss.

Auf dem fiktiven Programm eines solchen Besuchers könnte auch ein Gespräch mit der Müllbranche stehen. Künftig sollen nach Afrika exportierte Abfälle rückgeführt werden. Es ist Teil eines neuen Systems der Kreislaufwirtschaft, das man in Westafrika einzurichten gedenke und das in wesentlichen Teilen darauf beruht, Problemabfälle dahin zu bringen, woher sie kommen. Giftige Müllbestandteile aus Europa wolle man in der Staatengemeinschaft Ecowas als Teil der Subsahara-Nachhaltigkeitsstrategie nicht länger tolerieren. Er wolle sich in dieser Sache die europäischen Vorschläge zur Lösung dieser Frage anhören.

Eigene Abhängigkeiten?

Zu guter letzt würde der Afrikaner womöglich die traditionellen Verbindungen beider Kontinente aus der Zeit des Kolonialismus und des Sklavenhandels betonen. Er würde seiner Hoffnung Ausdruck verleihen, die europäischen Mächte seien sich ihrer Verantwortung aus der Zeit des Imperialismus bewusst. Berlin müsse zudem bedenken, dass es heutzutage andere, aber ähnliche Stränge der Abhängigkeit gebe. Die Partnerschaft mit den Amerikanern gebe es gewiss nicht ohne Gegenleistung.  

Keine Sorge, all dies ging mir als reiner Zeitvertreib bei einem Flug über die Sahara durch den Kopf und ist komplett ausgedacht. Nehmen Sie bitte nichts davon wörtlich – aber das eine oder andere vielleicht doch ernst. Mich zumindest lässt die Frage nicht los, warum die parlamentarisch-ministerielle Reisetätigkeit fortlaufend wächst und deutsche Politiker in aller Welt ihre Wünsche adressieren, während einem umgekehrt in Deutschland nur selten Aufrufe, Mahnungen, Drohungen und an Bedingungen geknüpfte Kooperationsansinnen ausländischer Besuchsminister begegnen und wenn, dann von Leuten aus Ländern, die man dafür nicht sonderlich schätzt.

3 Kommentare
Andreas Vogelsang
Vermutlich würde ein Mauretanischer Politiker anregen, dass Deutschland endlich mal anfängt, angemessen die Verfügbarkeit des Internets und der Telekommunikation auch in der Region zu erhöhen, wenn wir wirtschaftlich und gesellschaftlich nicht abgehängt werden wollen. Wahrscheinlich würde Mauretanien uns erst mal funktionierende Züge zur Verfügung stellen und uns im Gleisbau unterweisen.