Bandidos und Hells Angels Der Fall Subway und die Folgen: Chronologie der Rocker-Affäre

Von Götz Bonsen, Eckard Gehm | 28.03.2019, 12:04 Uhr

Während der Parlamentarische Untersuchungsausschuss weiter Fragen aufwirft: Ein Rückblick auf die Rocker-Affäre und den Krieg zwischen Bandidos und Hells Angels in Schleswig-Holstein.

13. Januar 2010: Neue Eskalation im Rockerkrieg in Schleswig-Holstein: Mitglieder der Rockergruppe Bandidos überfallen mit Schlagstöcken und Messern drei Red Devils in einer Filiale der Schnellrestaurantkette Subway in Neumünster. Beiden Messeropfern – darunter der lebensgefährlich verletzte B. – werden die Kutten geraubt, eine Demütigung für ihre Träger.

Weiterlesen: Eine der Vorgeschichten im Rocker-Krieg – Die Messer-Rache der „Bandidos“

Der Subway ist damals ein bekannter Treffpunkt der Bandidos. Die Red Devils gelten als Unterstützergruppe der Hells Angels. Eine in einen Bandido verliebte Mitarbeiterin des Schnellrestaurants hatte die Rocker per SMS auf die Anwesenheit der verfeindeten Gruppierung hingewiesen.

Weiterlesen: Mutige Kellnerin wies Rocker zurecht

29. April 2010: Mit diesem Tage sind die Vereine „Hells Angels MC Charter Flensburg“ und „Bandidos MC Probationary Chapter Neumünster“ auf Verfügung des damaligen Innenministers Klaus Schlie (CDU) verboten. Die Sonderkommission „Rocker“ im Kieler Landeskriminalamt (LKA) stürmt am 27. April eine Rocker-WG und überwältigt den Kopf der Bandidos sowie zwei weitere Bandenmitglieder der Contras Neumünster.

Weiterlesen: Drogen und Gewalt: Die Geschäftsfelder krimineller Rockergruppen

9. Juni 2010: Nach der Festnahme von Bandidos beklagten zwei Beamte der Soko Rocker, Vorgesetzte hätten sie daran gehindert, entlastende Aussagen einer Quelle aus dem Rockermilieu vollständig zu protokollieren – aufgrund des Informantenschutzes.

Sie fertigten trotzdem einen Vermerk an und gaben ihn an die Staatsanwaltschaft. Ein in U-Haft befindlicher Beschuldigter soll sich laut der Quelle eines Beamten zur Tatzeit nicht am Tatort aufgehalten haben. Die entlastenden Aussage sollte allerdings nicht in der Akte vermerkt werden. Der Beschuldigte wird am Ende freigesprochen. Auch der Zeugen-Hinweis, dass einer der Männer nicht zugestochen hat, fehlt in der Verfahrensakte.

Historie des Rockerkriegs in SH

größer alsGrößer als Zeichen
größer alsGrößer als Zeichen

Juli 2010: Ein Beamter wird der Sachbearbeitung entzogen und gegen sein Willen in eine ungewünschte Abteilung versetzt.

26. Oktober 2010: Prozessbeginn gegen die vier Angeklagten P.B., K., H. und D. wegen schweren Raubes und gefährlicher Körperverletzung vor dem Kieler Landgericht. Hauptaugenmerk liegt auf dem frühen NPD-Landesvorsitzenden und Mitbegründer der verbotenen Bandidos Neumünster, P.B.

Die Bandidos demonstrieren eine Mauer des Schweigens. Nur seine Kutte, die würde er „schmerzlich vermissen“, sagt ein mauerndes Opfer der Red Devils. Dass kurz nach der Tat grünes Licht für eine Reinigung des Tatorts und gleichzeitige Spurenvernichtung gegeben wurde, sorgt für Stirnrunzeln.

Weiterlesen: Rocker-Prozess –Streit um Handy-Daten

17. November 2010: An einer graugrünen Hose, die dem Bandidos-Rocker und ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden P.B. (37) abgenommen worden sein soll, hat eine Biologin des Landeskriminalamtes (LKA) an mehreren Stellen winzige Blutflecken entdeckt. Laut DNA-Gutachten stammt das Blut mit großer Wahrscheinlichkeit von E.B. (46). Doch die Hose ist wie vom Erdboden verschwunden.

Sicher ist: Sie ist bei der Staatsanwaltschaft angekommen. Nach der Analyse und die Wiederauftauchen ist auf den Stoff-Fetzen aber kein Blut mehr zu sehen. Vor dem Gerichtsgebäude wird ein Zeuge bedroht, er sei von einem Mann mit den Worten konfrontiert worden: „es wäre schlauer, nicht auszusagen“.

Februar/März 2011: P.B. muss aufgrund von Fluchtgefahr weiter hinter Gittern bleiben – anders als die drei weiteren Angeklagten. Für Aufsehen sorgt Bs. Anwalt, der für anderthalb Stunden auf eigenen Wunsch in den Zeugenstand wechselt. Dort schildert der Verteidiger, der auch aus NPD-Kreisen bekannt ist, wie er selbst bei den Bandidos ein und aus ging.

Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts muss überdies eine ehemalige Angestellte des Subways, aussagen, die dies vorher verweigert hatte. „Ich bin halt schusselig. Da hab’ ich wohl was vertauscht“, antwortet sie auf die Frage nach Zuordnung von Personen.

„Ja, ich habe Angst, dass was passieren könnte, wenn ich was Falsches sag’.“
Die Zeugin

Weiterlesen: Das Ende ist nicht abzusehen

Anfang April 2011: Oberstaatsanwalt Alexander Ostrowski fordert eine Haftstrafe für P.B.. Dass sein Mandant im Subway war und sich später Blutspritzer an seiner Hose befanden, erklärte P.Bs. Anwalt erneut mit einer Verabredung, die er selbst zu dieser Zeit mit dem 37-Jährigen gehabt haben will. Demnach sei B. zufällig ins Tatgeschehen hineingeplatzt.

Aus Sicherheitsgründen sagt ein verkleideter Kriminalpolizist im Prozess in Kiel für ihn aus. Der verkleidete Zeuge aus dem LKA nennt seinen wichtigen Zeugen nur „die Person“ oder „die Quelle“.

„Wie bekloppt haben sie dort auf zwei andere Kuttenträger eingeschlagen. Es ging alles durcheinander.“
Der Zeuge erkennt die Männer wieder und belastet sie

B. wird im April 2011 zu einer Haftstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt, ist im März 2011 aber kurzzeitig auf freiem Fuß.

Anfang März 2017: Zwei LKA-Ermittler sagen, dass das Kieler Landeskriminalamt (LKA) bei Ermittlungen gegen Rocker entlastende Aussagen unterdrückt hat. Der verhaftete Bandido H. soll nicht beteiligt, womöglich nicht mal am Tatort gewesen sein. Rechtsanwalt Michael Gubitz, der einen der Kriminalbeamten vertritt, bestätigt die Vorwürfe, die durch Patrick Breyer, den damaligen Fraktionsvorsitzenden der Piraten, öffentlich gemacht wurden. Die Affäre wird im Laufe des Frühjahres zum Politikum.

Rocker-Affäre: Chronologie zum Parlamentarischer Untersuchungsausschuss

größer alsGrößer als Zeichen
größer alsGrößer als Zeichen

6. Juni 2017: Der neue Landtag ist gerade einen Tag alt, da steht bereits die erste Sitzung des Innen- und Rechtsausschusses auf dem Programm. Der Verdacht liegt in der Luft, dass ein führendes Mitglied der Bandidos als Informant der Staatsanwaltschaft fungierte. Wurden die Entlastungshinweise gegen den Angeklagten H. aus Zeugenschutzgründen nicht aktenkundig gemacht? Das Ministerium sieht eine „Kampagne“ gegen die Führungskräfte.

„Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist Mobbing.“
Staatssekretärin Manuela Söller-Winkler zu den Vorwürfen der Beamten

15. Juli 2017: Die Kieler Nachrichten äußern den Verdacht, dass der Dienstwagen ihres Chefredakteurs mit einem Peilsender von der Polizei überwacht, und dass das private E-Mail-Konto eines Polizeireporters geknackt wurde. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück, es stellt sich später heraus, dass diese haltlos sind. Der Ex-Bandidos-Chef gibt ein Interview in dem er sagt: „Ich war nicht der Informant.“

Schleswig-Holsteins Ex-Innenminister Klaus Buß (SPD) soll jetzt bei der Aufarbeitung der Rocker-Affäre bei der Landespolizei helfen.

3. November 2017: Innenminister Hans-Joachim Grote fühlt sich nicht vollständig über Belange, die die Landespolizei betreffen, informiert. Dass Landespolizeidirektor Ralf Höhs als auch Jörg Muhlack, Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, ihren Job aufgeben sollen, hat offiziell nichts mit der Rocker-Affäre zu tun. Er halte „eine kurzfristige Neubesetzung der Abteilungsspitze für zwingend erforderlich“, sagt der Innenminister von der CDU.

Weiterlesen: Grote setzt jetzt mit neuem Personal an der Spitze auf Führungskultur

24. Februar 2018: Der Landtag setzt vor allem auf Bestreben der SPD-Fraktion einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) ein.

7. Juli 2018: Die Landesregierung stellt den Bericht zur Rocker-Affäre vor. „Eklatantes Führungsversagen“, resümiert der Sonderermittler. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zur Rocker-Affäre wird nach Ansicht des SPD-Innenpolitikers Kai Dolgner den Umgang mit Informanten und die Führung von V-Leuten ändern.

Weiterlesen: Bericht zur „Rocker-Affäre“: Das Führungsversagen der Polizei

12. November 2018:

„Ich erhielt im Frühsommer 2017 Hinweise, dass sich Polizeiführer bei den Rockerermittlungen und den Folgen in das laufende Geschäft eingemischt hätten, sollte sich dieser Verdacht in der Beweisaufnahme bestätigen, stellt sich die Frage, ob die Polizeiführer aus Erfolgsdruck wegen des ‚Rockerkrieges‘ oder um dem damaligen Innenminister Klaus Schlie (CDU) Erfolge zu melden oder gar auf Anweisung aus dem Ministerbüro gehandelt haben.“
SPD-Innenpolitiker Kai Dolgner im PUA

28. Januar 2019: Jetzt packt Ermittler R. vor den Abgeordneten aus. Es geht um Drohungen und Ungereimtheiten. Der Tatort sei bereits vor Eintreffen der Spurensicherung gereinigt worden, ein Polizist soll das genehmigt haben. Die Beamten, die den beschlagnahmten Mercedes von Bandido B. durchsuchten, waren nach einer halben Stunde fertig, wollen nichts entdeckt haben. R. inspizierte das Fahrzeug daraufhin selbst.

Dort fand er „eine Mischung aus Wohnung und Büro“ vor und entdeckte polizeiinterne Unterlagen. R.: „Es war die achtseitige kriminelle Historie einer Person.“ Weil der Ermittler ein Leck in den eigenen Reihen vermutete, stellte er den Ausdruck sicher. „Es gab seitens der Soko-Führung allerdings kein Interesse, dem nachzugehen“, so R.

Weiterlesen: Bericht zur „Rocker-Affäre“ – Das Führungsversagen der Polizei

21. Februar 2019: Die nächste Panne offenbart sich. Mehrere Kopien eines als vertraulich eingestuften Berichts von Beamten des Landeskriminalamts (LKA) Mecklenburg-Vorpommern sind unauffindbar. Dazu gehört unter anderem die Berichtskopie des ehemaligen LKA-Chefs. 

„Man soll nicht immer gleich Konspiration vermuten, wo Inkompetenz auch eine Erklärung ist.“
Kai Dolgner am Rande der Ausschusssitzung

25. Februar 2019: W. (52) ist geladen. Er war 2010 Stellvertreter des Soko-Leiters. Nach dem Messerangriff auf „Red-Devils“-Rocker hatte er den Auftrag, das Clubhaus der verdächtigen Bandidos zu durchsuchen. Das war die Villa von „Bandidos“-Präsident B.: Über 30 Zimmer, Keller mit Schwimmbad, Sauna, Abstellraum und Garage. Doch bereits nach 45 Minuten rückten die zwölf Beamten wieder ab. Ohne Fund. Warum so schnell?  Der Dialog an dieser Stelle:

W.
Wir suchten nach den geraubten Kutten und den Tatwaffen.
SPD-Obmann Kai Dolgner
Im Keller lagerten viele Kartons, in denen man ein Messer leicht hätte verstecken können. Warum waren Sie trotzdem so schnell fertig?
W.
Es wurde ja nur nach gewissen Gegenständen gesucht. Und ich habe mich darauf verlassen, dass die Kollegen alles so vernünftig gemacht haben, wie es sein muss

Und wie kam sein achtseitiger polizeiinterner Ausdruck über einen Straftäter mit Bandidos-Kontakten in den Wagen des Hauptverdächtigen der Messerstecherei, B.? W. kann keine schlüssige Erklärung liefern: „Da müsste ich spekulieren.“

Weiterlesen: Leitender Polizist weist Spekulation über Informationsleck zurück

18. März 2019: „Es war kaum möglich, Luft zu holen“, sagt der Kieler Oberstaatsanwalt Alexander Ostrowski und räumt Fehler ein. Das Subway-Verfahren sei durch den Druck „nicht vollkommen fehlerfrei“ gelaufen. „Aber auf keinen Fall ist bewusst gegen Normen verstoßen worden“, so Ostrowski. Der Mann, der die „Hells Angels“ und „Bandidos“ hinter Gitter brachte, ist hier diesmal als Zeuge geladen.

April/Mai 2019: Schleswig-Holstein richtet eine Task-Force für interne Ermittlungen innerhalb der Polizei ein. Sie soll im Juli die Arbeit aufnehmen. Vor dem Untersuchungsausschuss sagt eine der damaligen Ermittlerinnen aus: „Der ganze Vorgang um den Vermerk war ungewöhnlich“:

„Der ganze Vorgang um den Vermerk war ungewöhnlich.“
Ermittlerin

Kennen Sie schon den Podcast „Rockerkrieg im Norden“? Jetzt anhören:

Letzte Überarbeitung am 5. September 2022.

TEASER-FOTO: picture alliance / dpa