
Im NOZ-Kinderpodcast „Ole schaut hin“ spricht die deutsche Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg über die anstehende Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland, die Ziele und das Zusammenstellen ihres Teams und die Zukunft des Mädchen- und Frauenfußballs.
Liebe Martina, wie stellst du dein Team für eine Weltmeisterschaft zusammen?
Ich stelle ein Team aus ganz unterschiedlichen Perspektiven zusammen. Das eine ist natürlich die sportliche Leistung, die die Spielerinnen bringen müssen in ihren Vereinen, auf ihren Positionen und natürlich auch international. Bei der Weltmeisterschaft kommen ganz viele tolle, eigentlich die besten Spielerinnen der Welt zusammen. Das heißt, das Niveau wird immer höher, die Anforderungen werden höher, also die sportliche Kompetenz, das Talent, aber auch dann die Perspektive. Bewusst auch für jüngere Spielerinnen entscheiden, damit sie schon Turniererfahrung machen. Ein Turnier wie eine Weltmeisterschaft ist etwas ganz anderes als nur ein einzelnes Fußballspiel zu haben oder in der Liga zu spielen. Da sind viele Herausforderungen. Wir sind sehr lange miteinander zusammen. Der Druck wird größer. Es schauen viele Menschen zu, es schauen viele Kinder zu. Von daher kommt noch hinzu, welche Perspektiven habe ich, wie ist mein Potenzial für die Zukunft und dann aber auch Charaktereigenschaften. Kann ich die Rolle annehmen? Ihr müsst euch vorstellen, wir haben Spielerinnen, die spielen immer in ihrem Verein, sind Stammspielerin, spielen immer und kommen dann zu mir in die Frauen-Nationalmannschaft. Wir sind 23 Spielerinnen, aber 11 können nur spielen. Da sitzt dann die ein oder andere schon mal auf der Bank und das ist eine neue Rolle, eine neue Situation und über die muss man dann sprechen und muss das miteinander angehen und sagen “Pass auf, dein Wert ist trotzdem unheimlich hoch. Er ist derselbe wie von jeder anderen Spielerin, aber Fußballerinnen definieren sich auch über Spielzeit”.
Ist Kommunikation also mitunter deine Hauptaufgabe?
Auf jeden Fall. Wichtig ist miteinander zu sprechen und nicht übereinander und die Rollen klarmachen, also ehrlich miteinander umgehen und auch zu sagen „Wie ist die Situation? Wer ist die Konkurrenz? Was erwarte ich von dir oder wir als Trainerinnenteam, was erwarten wir von dir?“ Dann ist es auch wichtig, den Menschen hinter der Spielerin zu kennen, also den Charakter. Das ist bei den Kindern genau so. Es gibt mutige Kinder, es gibt selbstbewusste Kinder, es gibt Kinder, die etwas schüchterner sind und das ist bei meinen Spielerinnen auch so. Es gibt schon junge Spielerinnen, die haben noch nicht die mentale Stärke, fühlen sich noch nicht so sicher und sind nicht so selbstbewusst und da geht es immer wieder darum, miteinander zu sprechen, die Rolle klarzumachen, aber auch den Menschen kennenzulernen, damit ich vielleicht auch nicht etwas erwarte, was diese Person noch gar nicht leisten kann.
Wie viel Zeit vor so einem Turnier trainierst du dann mit den Spielerinnen?
Wir sind die Nationalmannschaft. Das heißt, wir sind nicht tagtäglich zusammen. Wir kommen in der Regel, wenn wir kein Turnier haben, sechsmal im Jahr à neun oder zehn Tage zusammen. Da haben wir meistens zwei Spiele. So viel Trainingszeit haben wir dann gar nicht. Wir haben vielleicht 4-5 Einheiten, die wir dann zusammen verbringen. Deshalb ist die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft umso wichtiger. Da treffen wir uns ein bisschen früher und da müssen wir noch mal jede Trainingseinheit nutzen, damit wir uns einspielen. Die Spielerinnen kommen von unterschiedlichen Vereinen, haben unterschiedliche Ansichten, wie wir Fußball spielen wollen und deshalb ist es wichtig, dass wir die wenige Trainingszeit, die wir haben, auch optimal nutzen. Wir müssen da auch priorisieren. Ich kann gar nicht alles trainieren, was ich trainieren möchte oder auch nicht, was die Spielerinnen trainieren möchten, sondern das müssen wir gut absprechen, um dann zu einem Team nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb des Platzes zusammenzuwachsen.
Team und Team zusammenwachsen ist ein tolles Stichwort. Wie motivierst du so ein Team vor einem großen Spiel oder Turnier?
Ja, ich glaube, motivieren muss ich da gar nicht viel. Sie sind selbst motiviert. Sie haben eine große Eigenmotivation, sonst würden sie nicht in der Nationalmannschaft sein. Aber es gilt eher die Balance zu finden, wer muss noch ein wenig Ruhe und Support bekommen, eine positive Ansprache, wer braucht vielleicht auch einen Tritt in den Hintern. Wer braucht einfach mal eine Umarmung, wer möchte in Ruhe gelassen werden? Also komplett unterschiedlich. Wir haben natürlich unsere Rituale, auch in der Kabine. Wir machen, kurz bevor wir rausgehen, noch mal unseren Kreis mit allen Spielerinnen und dem inneren Team, da sind die Physiotherapeuten, die Trainerinnen und der Zeugwart dabei und dann gibt es noch mal eine Ansprache. Manchmal mache ich die, gerne lasse ich das auch eine Spielerin machen. Da verändern wir auch immer mal, damit das nicht immer gleich ist. Da kommt noch mal der letzte Moment des Pushens, wo man sich noch mal anschreit und sich motiviert und laute Musik hört, dass man wirklich ready und bereit ist, dann klatschen sich alle ab, feuern sich noch mal gegenseitig an und dann geht es raus und dann versuchen wir das Spiel zu gewinnen.
Für die anstehende Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland gelten die USA, England, Spanien als die Favoritinnen. Welche Rolle kann dein Team spielen?
Wir werden auch im Kreis der Favoritinnen genannt, aber der ist sehr groß geworden. Da sind die USA, England, Spanien, Frankreich, Brasilien, Japan, aber auch Australien, Kanada und auch Deutschland. Wir wollen auch um den WM-Titel spielen. Schweden darf man auch nicht vergessen. Man sieht schon, es sind sehr viele Nationen mittlerweile auf einem sehr guten Niveau.
Weltweit spielen Mädchen und Jungen jetzt Fußball und weltweit können Mädchen und Frauen Profifußballerinnen werden. Das hatten wir lange nicht. Wir haben jetzt den Traum, den wir realisieren können, das zum Beruf zu machen. Da kann ich nur alle Mädchen auffordern, aber natürlich auch alle Jungs “Geht zum Fußball. Das ist ein Mannschaftssport. Das ist so toll, miteinander Freude, aber auch Leid und Niederlagen zu teilen, sich weiterzuentwickeln, zu trainieren, unterschiedliche Fähigkeiten einzubringen. Wir wollen auch um diesen Titel spielen, wir wissen aber auch, dass gerade in der K.o.-Phase, also wenn es dann ins Achtel- und Viertelfinale geht, ganz tolle Mannschaften auf uns zukommen. Aber ich kann euch allen versprechen, wir werden alles geben.
Hast du noch einen speziellen Tipp für den Nachwuchs? Was können die Mädchen und Jungs machen, um vielleicht in 10-15 Jahren Nationalspielerin oder Nationalspieler zu werden?
Das allererste ist immer Spaß und Freude zu haben an dem, was man tut und an sich zu glauben. Es wird auch immer mal in einer Fußballkarriere Tiefen geben. Man ist mal verletzt, man bringt mal nicht die Leistung, man ist vielleicht nicht so zufrieden, man muss sich durchsetzen lernen, man muss die Position finden. Aber das Wichtigste ist immer, den Glauben an sich selbst zu haben und dann sich gute Leute zu suchen, am besten einen guten Trainer oder gute Trainerin, aber auch von den Mitspielerinnen und Mitspielern zu lernen. Jeder kann sich untereinander helfen. Das ist das Schöne am Mannschaftssport. Dann gilt immer noch üben, üben, üben. Vielleicht ein bisschen fleißiger sein als die anderen. Also wenn man Talent hat, ist es das eine, aber ich habe festgestellt, dass die Spieler und Spielerinnen, die sehr, sehr fleißig sind und einfach eine Bereitschaft haben, sich immer weiter zu verbessern und genau Herausforderungen auch anzunehmen und nicht gleich aufzugeben, dass die eigentlich die sind, die sich am Ende auch durchsetzen. Trotzdem ist Spaß und Freude, mit einem Lachen auf den Platz gehen, mit einem Lachen vom Platz runtergehen immer noch der beste Antrieb, um auch erfolgreich zu sein.
Fördert der DFB auch ganz speziell den Frauenfußball bzw. auch den Mädchenfußball und die Entwicklung junger Spielerinnen?
Absolut und was da auch noch mal wichtig ist: Es gibt nicht nur den einen Weg. Man muss nicht den Weg gehen und jetzt vielleicht jetzt lange bei den Jungs spielen und dann zu den Mädchen oder nur bei den Mädchen spielen. Es gibt Doppelspielberechtigungen, d.h. unsere jungen Mädchen in Deutschland können bei Jungen- und Mädchenteams parallel spielen. Jedes Talent kann sich eigentlich in der Kategorie einordnen, wo es hingehört. Mädchen dürfen ein Jahr älter sein, um noch bei den Jungs zu spielen, weil es dann ja auch körperlich auch ein bisschen auseinandergeht. Es gibt mittlerweile viele tolle Clubs und Nachwuchsleistungszentren, die sich für den Mädchenbereich öffnen. Wir entwickeln eigene Talentzentren für den Mädchenfußball. Wir haben ganz viel vor beim DFB. Wir haben ein Projekt “Zukunft weiblich”, wir haben ein Projekt “Frauen im Fußball”. Wir brauchen natürlich auch noch gute Trainerinnen. Deshalb sagt euren Müttern, Vätern oder Trainern “Hey, es wäre toll, wenn ihr in den Kinder- und Jugendfußball geht und auch mithelft, dass wir ganz viele Mädchen und Jungen ausbilden können”. Von daher gibt es nicht den einen Weg, sondern jede muss sich ein bisschen so ihren Weg suchen und wir sind da Partner. Wir versuchen, unsere Talente dort hinzubringen und dort einzuordnen, wo sie am besten aufgehoben sind.
Wie schätzt du die Zukunft vom Frauenfußball in Deutschland oder weltweit allgemein ein?
Wir sehen jetzt nach dieser tollen Europameisterschaft 150 % mehr Anmeldungen in den Vereinen. Da braucht es einerseits den Verein, aber auch die Trainerinnen und Trainer. Es braucht die Trainingsplätze. Es braucht die Umkleidemöglichkeiten. Da haben wir noch viel zu tun. Wo geht der Mädchen- und Frauenfußball weltweit hin? Die Akzeptanz ist jetzt da und auch in der Gesellschaft absolut angekommen. Heute kann ein junges Mädchen sich wirklich aussuchen, wo sie spielen möchte und der Vorteil ist, man kann eine duale Karriere damit bestreiten. Man kann z.B. in den USA studieren und gleichzeitig auf allerhöchstem Niveau Fußball spielen. Auch unsere Nationalspielerinnen haben alle eine duale Karriere gemacht, die haben ihre Schule beendet, viele studieren, viele haben aber auch parallel eine Ausbildung gemacht. Das ist das, was wir unterstützen. Das dürfen wir nicht vergessen, weil Fußballer oder Fußballerin kann man nur temporär sein. Natürlich ist die Ausbildung und die Schule erst mal das Wichtigste. Das ist die Priorität und unsere Spielerinnen in den U-Nationalmannschaften, wenn die auf Länderspielreise gehen, haben Lehrer dabei, haben Unterrichtszeiten, wo sie den Ausfall in der Schule auch kompensieren können, wo sie ihre Dinge auch aufarbeiten können. Das ist uns total wichtig, dass wir das auch gewährleisten. Das ist auch unsere Verantwortung. Ich glaube, wir sind noch lange nicht am Ende. Wir sind gerade auf einem sehr guten Weg. Es interessieren sich mehr Sponsoren, es kommen mehr Zuschauer in die Stadien. Wir gehen mittlerweile in große Stadien. Wir haben neue Wettbewerbe. Die Champions-League ist attraktiver geworden. Ich glaube, dass es irgendwann einen internationalen Pokalwettbewerb gibt. Von daher kann ich den Mädchen nur sagen “Traut euch. Verfolgt euren Traum. Ihr könnt alles schaffen, was ihr schaffen wollt und dann stehen euch die Türen offen”.
Vielen Dank für deine tollen Antworten. Wir drücken dir und deinem Team die Daumen, auf dass ihr am 20. August im Finale in Sydney steht.
Vielen Dank. Wenn alle Jungs und Mädchen, die das hier lesen, die Daumen drücken, dann hilft uns das wahrscheinlich. Wir geben Volldampf!