Heidi Klum behauptet, dass sie schon immer ein Curvy-Model als Siegerin haben wollte. Aber stimmt das? GNTM nutzt „Diversity Washing“ als Verkaufsstrategie, Körper bleiben Trends. Wo bleibt der Boykott?
In diesem Artikel erfährst Du:
- Was „Diversity Washing“ bedeutet.
- Warum unsere Autorin Teil des Problems ist.
- Welche Kandidatinnen im Finale stehen und wer vermutlich gewinnt.
Kennt ihr diese Paare, die nur zusammen sind, weil sie schon so lange zusammen sind? So ist das mit mir und Germany’s Next Topmodel . Seit 17 Jahren führen die Show und ich eine toxische Beziehung. Jedes Jahr sage ich: Jetzt ist Schluss, ich schaue das nie wieder – und sitze spätestens beim großen Umstyling im Jahr darauf wieder vor der Glotze. Noch bevor Heidi das erste Mal das Plusquamperfekt falsch benutzt, steckt meine Hand in der Pringels-Packung fest und mein Hirn in der Welt der „Personality“. Doch seit Bruce Darnell nicht mehr „die Handtasche muss lebendig sein“ ruft, fehlt das gewisse „Drama Baby, Drama“. Germany’s Next Topmodel war eine lustige Unterhaltungsshow. War, aber ist es nicht mehr.
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Heidi macht mit ihrer Show einen auf divers, dabei ist das alles Schwindelei. Die 48-Jährige betreibt sogenanntes „Diversity Washing“. Das bedeutet, Vielfalt als Verkaufsstrategie zu nutzen. Ein Beispiel für Diversity Washing wäre, wenn eine Firma mit LGBTQ-Freundlichkeit wirbt – in der Chefetage aber nur alte, weiße Cis-Männer sitzen. Der Begriff kommt übrigens aus der Welt der Marketing-Strategien.
Und bei GNTM? In der diesjährigen Staffel haben allen Frauen in Deutschland die Chance, sich als Model zu beweisen. Alle. Unabhängig von Größe, Gewicht und Herkunft. Das macht Heidi aber nicht aus tiefster Überzeugung. Das macht sie nur, um Zuschauerinnen wie mich zurückzugewinnen.

GNTM 2022 mit Heidi Klum: So divers ist das Finale der 17. Staffel
Ich, die schon 16 Mal „Ich schaue das nie mehr!“ gesagt hat, sitzt nun doch wieder vor der Glotze. Aus Macht der Gewohnheit und Neugier. Schließlich will ich wissen, wer sich im großen Finale am Donnerstag durchsetzt: Martina ist 50 Jahre alt und vertritt die Best-Agerinnen. Ihre Tochter (ja, Tochter) Lou-Ann könnte als Curvy-Model Karriere machen und die Show gewinnen. Noella hat eine große Narbe am Bein und eine schwarze Hautfarbe. Luca ist mit einer Körpergröße von 1,67 Meter klein und Anita kann Schweine schlachten. Divers. Divers. Divers. Aber wie sollte es auch anders sein? Wenn die Modelmama eine Show mit Vielfalt verspricht, können im Finale keine fünf Lena Gerkes stehen.
Warum ich dann in diesem Text frotzle, wenn Heidi ihr Versprechen hält? Nicht falsch verstehen: Ich finde diese Diversity-Entwicklung sehr gut. Vielleicht ist Entwicklung aber das falsche Wort. Ist es nicht viel mehr ein Trend, den GNTM für sich nutzen möchte? Außergewöhnlich schöne Models sind in der Fashionwelt sehr gefragt – aber nur, weil Werbekunden aktuell danach verlangen.
Beliebt sind derzeit Topmodel Winnie Harlow mit weißen Flecken auf schwarzer Haut, der Vitiligo-Erkrankung, Ashley Graham mit Kurven oder Shaun Ross, der Albinismus hat. Doch nur wegen ein paar Diversity-Models ist nicht die gesamte Modewelt divers. Nur weil Wiesenhof ein veganes Produkt verkauft, ist nicht deren gesamte Massentierhaltung legitimiert. Und GNTM ist nur wegen einem Mama-Tochter-Duo im Finale noch lange nicht vielfältig.
Bodyshaming bei GNTM, dieses TikTok-Video zeigt Ausschnitte aus vergangenen Staffeln:
Schaut man sich die vergangenen Folgen der Show an, gibt es immer noch die Heidi, die schmale Taillen als „gebärfreudige Hüften“ bezeichnet – oder eine Kandidatin tadelt, weil sie zu viel isst. 2013 sagte Heidi zu Model Christine: „Du bist unten und nimmst dir dann ein Stück Obst und schiebst dann direkt noch einen Riegel mit da rein.“ Wegen solcher Bemerkungen entwickeln junge Frauen kein Selbstbewusstsein, sondern Essstörungen. Dabei hat sich Heidi nach eigener Aussage schon immer ein Curvy-Model auf dem Cover gewünscht.
Bodyshaming bei Germany’s Next Topmodel
Bei GNTM wurde immer wieder Bodyshaming betrieben. Körper waren zu dick, zu dünn. Die Kandidatinnen zu crazy, zu normal. Anstatt aus jungen Mädchen Models zu machen, färbte man ihnen die Haare blau. Oder schnitt ihnen einen fransigen Vokuhila, zu der sich ihre „Personality“ gefälligst anpassen sollte.
2020 war Mareike Kandidatin bei GNTM, die für ihr besonderes Aussehen und die vielen bunten Tattoos gelobt wurde. Genau die Tattoos, die für ein Nacktshooting von zwei Stylisten mit jeder Menge Make-up verdeckt wurden. Personality weggepinselt. Curvy-Models können ihre Kurven aber nicht übermalen, sobald sie nicht mehr gewünscht sind. Eine Martina kann sich nicht mehr jung zaubern, eine Noella nicht ihre Narbe verschwinden lassen und Luca sich nicht in die Höhe strecken.
Hier siehst Du die Folge mit Mareike:
„Alle reden davon, dass sie mehr Diversity haben möchten. Sie reden und reden und reden. Aber ich, ich bring’s an den Start“, sagte Heidi zu Beginn dieser Staffel. Aber was ist, wenn keiner mehr Diversity haben möchte? Steht die Modelmama dann noch hinter ihren Mädchen? I doubt it.
Körper bleiben Trends, wo bleibt der Boykott von Heidi und GNTM 2022?
Es ist einfach, Heidi die komplette Verantwortung in die High Heels zu schieben. Sie und die Produktionsfirma von ProSieben passen die Sendung schlicht an gängige Trends an. Aber auch aus Überzeugung?
So viele Menschen schauten in den vergangenen Jahren das Finale von GNTM:
Ja, auch Zuschauer wie ich sind Teil des Problems. GNTM wurde über die Jahre hinweg zur Gewohnheit. Seit ich zehn Jahre alt bin, schaue ich diese Show. Hat sie mich beeinflusst? Bestimmt. Das merke ich dadurch, dass mir Sätze wie „Du hast aber noch einen Riegel gegessen“ früher nie negativ aufgefallen sind. Ich fand die Mädchen nie zu dünn und das Wort Mädchen bei erwachsenen Frauen auch nicht anmaßend. Heute schon.
Dass 10-jährige Kinder nun auch „normale“ Frauen im Fernsehen sehen, ist toll. Ob diese Frauen in der echten Modelwelt eine Chance haben, sei dahingestellt. Diversity ist bei GNTM 2022 aber nur eine Marketing-Strategie, die die Einschaltquote hochtreiben soll. Hätte Heidi sich wirklich schon immer ein Curvy-Model auf dem Cover gewünscht, wäre das schon längst passiert.
Was sich seit 17 Jahren GNTM nicht verändert, ist der Kult um den Körper. Die Körper der Mädchen passen sich nur den Trends an – und ihre Körper werden zur Schau gestellt und verkauft. Für Klicks. Für das Fernsehen. Für Fashion. Was hilft, ist der Boykott.
Darum ist für mich jetzt Schluss. Ich schaue GNTM nicht mehr. Liebes GNTM, liebe Heidi: Unsere Zeit war gewesen.